Warum zeitweiser Verzicht auf Alkohol sinnvoll sein kann

VonC. Peters

12. September 2023

Bonn (KNA)“Weniger ist immer besser“: So bringt es Christina Rummel auf den Punkt, Geschäftsführerin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Zeitweise auf Alkohol zu verzichten, sich immer wieder zu fragen „muss das heute wirklich sein?“ oder „kann ich die Party nicht auch nüchtern genießen?“ – all das sei sinnvoll.

67 Prozent der Menschen in Deutschland entscheiden sich bewusst dafür, phasenweise keinen Alkohol zu trinken, das ging kürzlich aus einer Umfrage des „Spiegel“ hervor. Demnach gaben die meisten gesundheitliche Gründe für ihre Abstinenz an. Der Anteil der Frauen, die bewusst auf Alkohol verzichten, lag knapp über dem der Männer.

Hochkonsumland Deutschland – 8 Millionen trinken „riskant“

Rund 31 Prozent schätzten ihren aktuellen Alkoholkonsum im Vergleich zum Vorjahr als geringer ein, darunter vor allem die 18- bis 29-Jährigen. Allerdings gab fast jeder fünfte Befragte an, zwei- bis dreimal pro Woche Alkohol zu trinken.

Das Bewusstsein für die Gefahren, die mit Alkohol verbunden seien, steigt laut Rummel. Allerdings: „Jährlich trinkt jede Person in Deutschland eine ganze Badewanne an Alkohol – das ist definitiv zu viel.“

Laut dem Ende April veröffentlichten „Jahrbuch Sucht 2023“ bleibt Deutschland beim Alkohol im internationalen Vergleich ein Hochkonsumland, obwohl der Konsum seit längerer Zeit zurückgeht. Über 90 Prozent der Erwachsenen in Deutschland konsumieren Alkohol, etwa acht Millionen trinken „riskant“, wie Fachleute sagen. Weltweit gesehen ist Alkohol die Droge, die am häufigsten zu einer behandlungsbedürftigen Abhängigkeit führt.

Zellgift Alkohol schädigt Organe

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung rät, an zwei Tagen in der Woche ganz auf Alkohol zu verzichten. Unter risikoarmem Konsum ist demnach zu verstehen: „Frauen sollten maximal ein achtel Liter Wein oder ein kleines Glas Bier pro Tag trinken, Männer maximal die doppelte Menge.“ Insbesondere in Stresssituationen sei Alkohol kein sinnvolles Gegenmittel: „Regelmäßiges Trinken bei belastenden Situationen kann zur Abhängigkeit führen.“

Alkoholfasten hat der Bundeszentrale zufolge gesundheitliche Vorteile, weil Alkohol als Zellgift Organe schädigen könne. Wer weniger Alkohol trinke, reduziere das Risiko für viele schwere Erkrankungen. Eine Pause wirke sich zudem positiv auf den Blutdruck, die Qualität des Schlafs und das allgemeine Wohlbefinden aus, hieß es.

Abhängigkeit unterschätzt

Expertin Rummel verweist auf die negativen Effekte, die Alkoholkonsum nicht nur auf die eigene Gesundheit habe. Junge Menschen nähmen sich ein Vorbild daran, wenn sie Erwachsene trinken sähen; im Straßenverkehr und im Zusammenhang mit Gewalt spiele Alkohol immer wieder eine ungute Rolle. „Bei vielen Gelegenheiten wird man kritisch beäugt, wenn man nichts trinken möchte“, sagt sie. „Dabei wollen wir doch in einer Gesellschaft leben, in der ein ’nein‘ ausreicht.“

Alkoholabhängigkeit werde weiterhin unterschätzt. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen dringt unter anderem auf höhere Preise für Alkohol, eine geringere Verfügbarkeit und ein Werbeverbot. „Aufklärung ist eine wichtige Säule“, betont Rummel. „Aber die Verhältnisse sollten ein gesundes Verhalten unterstützen. Da passiert in Deutschland nichts.“ Dabei entstehe eine neue Wahrnehmung davon, was „normal“ sei, auch durch politische Maßnahmen wie eingeschränkte Verfügbarkeit.

Wer mit einer Abhängigkeit offen umgeht, muss unterdessen noch immer mit Ausgrenzung rechnen, sagt der Stigmatisierungsforscher und Oberarzt an der Leipziger Uniklinik, Sven Speerforck. Dies habe auch eine pädagogische Funktion: „Man sagt, jemand hat völlig die Kontrolle über sich selbst verloren, hat einen schwachen Charakter, müsste sich nur mal zusammenreißen. Das sind Vorurteile, die zu Abwertungen und bisweilen zur Kontaktvermeidung führen.“

Christina Rummel sieht die Angst vor Stigmatisierung als Hindernis für viele, um Hilfe zu suchen. Sie wirbt dafür, das schwierige Thema trotzdem offen anzusprechen: „Viele Menschen berichten auch von Zuspruch, wenn sie ihr Problem erkennen und angehen. Es ist sicher kein angenehmes Thema, aber es gibt ein gutes Beratungs- und Hilfssystem.“ Betroffene könnten sich und ihrem Umfeld damit einen langen Leidensweg ersparen.

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