Nach dem abgebrochenen Marsch der Söldnertruppe Wagner Richtung Moskau zweifeln Experten an der Darstellung einer Rebellion und vermuten eine Inszenierung. Wagner-Chef Jewgeni Progoschin hatte mit seinen Soldaten russische Militäreinrichtungen besetzt und war in die russische Hauptstadt aufgebrochen. Kurz danach brach er das Unternehmen ab und zog mit seinen Truppen nach Belarus, was ihm Straffreiheit sichern sollte. In den Medien und im Netz wurden schnell Vermutungen laut, dass es sich bei der Aktion nur um einen Bluff gehandelt haben könnte.
Generalleutnant a. D. Roland Kather äußerte sich gegenüber der „Welt“ mit den Worten: „Ich glaube, das Ganze war eine Inszenierung. Wenn es ganz schlecht läuft, ist es ein verdeckter Aufmarsch.“ Auch der britische Ex-General Richard Dannatt warnte bei Sky News vor einem möglichen Angriff aus Belarus durch die Wagner-Söldner und betrachtet dieses Szenario als durchaus realistisch.
Der Russland-Experte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) äußerte sich skeptisch zu den Ereignissen und sagte gegenüber FOCUS Online: „Es gibt ein paar Indizien, die mich sehr verwundern.“ Er wies auf das Fehlen einer angemessenen Reaktion auf die Angriffe der Wagner-Söldner hin und bemerkt, dass Putin in seiner Rede distanziert und realitätsfern wirkte. Meister hatte außerdem Zweifel an der plötzlichen Rolle von Lukaschenko als Vermittler: „„Dann kommt Lukaschenko plötzlich als vermeintlicher Vermittler ins Spiel. Ein Diktator, der komplett vom Kreml abhängig ist und eigentlich überhaupt nichts zu sagen hat. Das wirkt inszeniert – als ob es hier eine Marionette bräuchte, um zu vermitteln“, sagte er dem FOCUS.
Gemäß Blick.ch-Auslandsredakteur Guido Felder könnte der russischen Präsidenten Wladimir Putin hinter allem stehen: „Das hängt alles mit dem Ukraine-Krieg zusammen – es ist durchaus denkbar, dass Prigoschin sich nach Belarus zurückzieht, seine Kämpfer neu formiert und einen Angriff auf die Ukraine startet.“
Das US-amerikanische Institute for the Study of War (ISW) dagegen hält die Behauptungen, dass Prigoschins Rebellion, die Reaktion des Kremls und Lukaschenkos Vermittlung alle vom Kreml inszeniert wurden, für absurd. Das Institut wies auf die ernsten Schwächen hin, die die Rebellion in der russischen Regierung und im Verteidigungsministerium aufgedeckt habe. Es zeige deutlich, dass die Sicherheitskräfte Russlands anfällig seien und Putin nicht in der Lage sei, rechtzeitig auf die interne Bedrohung zu reagieren.
Laut Russland-Experte Gerhard Mangott gibt es keine Anzeichen dafür, dass der Wagner-Putsch von russischer Seite geplant wurde. In einem Gespräch mit t-online bezeichnete er Spekulationen darüber als „Unsinn“. Mangott betonte, dass Russland ohne Probleme Truppen hätte verlegen können, und die westlichen Geheimdienste hätten dies ohnehin bemerkt. Darüber hinaus wies der Experte darauf hin, dass der öffentliche Schaden für Präsident Putin enorm wäre und daher eine inszenierte Revolte keine Rechtfertigung hätte.
Prigoschin selbst soll nun weg sein aus Russland und sich im Nachbarland Belarus niedergelassen haben, wie die dpa schreibt. Der Aufenthaltsort des 62-Jährigen ist nicht bekannt. In einer ersten Stellungnahme nach dem missglückten Aufstand dementierte Prigoschin am Montag jedoch, einen Machtwechsel in Moskau angestrebt zu haben.
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