Pilotversuch: Vier-Tage-Woche soll Beruf in der Pflege attraktiver machen

VonC. Peters

6. Oktober 2023

Stress, Schichtdienste, schlechte Bezahlung: Pflegeberufe sind für viele Berufseinsteiger unattraktiv. An deutschen Krankenhäusern fehlen Fachkräfte. Für 2022 meldete das Institut der deutschen Wirtschaft (IDW) fast 22.000 offene Stellen im Bereich Gesundheits- und Krankenpflege. Etwa acht von zehn Stellen könnten demnach rein rechnerisch nicht besetzt werden, weil zu wenig ausgebildete Pflegekräfte verfügbar sind.

Wie also den Beruf interessanter machen? An mehreren deutschen Krankenhäusern gibt es Überlegungen, mit einer Vier-Tage-Woche mehr Bewerberinnen und Bewerber für die Pflege zu bekommen: Das Krankenhaus Bethanien-Moers etwa warb im Sommer mit einem Pilotversuch. Das Klinikum Bielefeld startete im Juli eine Testphase. Der DRK-Kreisverband Sangerhausen (Sachsen-Anhalt) stellte für 2024 sogar einen neuen Modelltarifvertrag vor. Kann die Umstellung auf eine Vier-Tage-Woche im Schichtbetrieb bei gleichbleibendem Stundenkontingent aber so einfach klappen?

Unterschiedliche Arbeitsbedingungen

Erste Erfahrungen gehen weit auseinander. Das Krankenhaus Bielefeld etwa testet die Vier-Tage-Woche befristet bis Ende des Jahres in zwei Stationen: der Chirurgie und der Geriatrie – mit ganz unterschiedlichen Arbeitsbedingungen. „In der Unfallstation haben wir viele Patienten, ständige Wechsel. Schon 7,5 Stunden am Tag sind dort für viele Mitarbeiter Stress“, sagt Henrik van Gellekom, Pflegedienstleiter am Klinikum Bielefeld für die Standorte Mitte und Rosenhöhe. „In der Geriatrie dagegen begleiten wir ältere Menschen. Dort ist vieles planbar, Pfleger haben mehr Zeit.“

Die Organisation für den Testlauf dauerte sechs Monate. Van Gellekom bereitete dazu mit Kollegen einen neuen Dienstplan vor. Pflegekräfte tragen sich zwei Monate im Voraus ein. Von den Stationen bekam van Gellekom bislang gemischte Rückmeldungen. „Mitarbeiter haben unterschiedliche Bedürfnisse“, erklärt er. „Wer Kinder hat, dem sind kürzere Tage lieber. Andere mögen es, bis zu sechs Tage freizuhaben am Stück, ohne Urlaub nehmen zu müssen.“

Arbeitsalltag deutlich entspannter

Der Arbeitsalltag sei aber für viele deutlich entspannter: Durch die Verlängerung der täglichen Arbeitszeiten überlappen sich demnach die Schichten morgens und abends über zweieinhalb Stunden. Dadurch sei in dieser Zeit mehr Personal verfügbar. „Besonders mit schwierigen Patienten können unsere Pflegekräfte so leichter arbeiten“, sagt van Gellekom. „Um zum Beispiel einen Menschen in die Bauchlage zu bringen, brauchen Sie vier Pflegekräfte gleichzeitig – das ist im normalen Klinikalltag kaum zu bewältigen.“ Auch für die Ausbildung bleibe so mehr Zeit.

In Moers dagegen fand der Versuch laut Presseabteilung wenig Zuspruch. Ab dem 1. Juli 2023 testete das Krankenhaus die Vier-Tage-Woche mit Freiwilligen in der Palliativstation. Pflegende mit Vollzeitstelle durften die vertraglich vereinbarten Arbeitsstunden statt auf fünf nun auf vier Tage verteilen. Nach vier Wochen endete die Testphase – ohne Fortsetzung. „Nicht für alle Mitarbeitenden passte das Modell“, sagt Pressesprecherin Hannah Ecker. „Manche waren zeitlich eingeschränkt.“ Andere, so Ecker, hätten die verlängerten Arbeitszeiten als stressig empfunden.

Option der Vier-Tage-Woche

Auch die Schichtplanung sei durch die neuen Arbeitszeiten schwieriger geworden. „Bei 1.800 Mitarbeitern lässt sich das einfach nicht managen“, sagt Ecker. „Wir haben das Angebot deshalb auf der Station zurückgeschraubt.“ Für einzelne Mitarbeitende biete das Krankenhaus die Option der Vier-Tage-Woche noch an, auch in anderen Stationen. Das sei aber nur nach individueller Absprache möglich. Die Nachfrage sei gering: Etwa 20 Personen arbeiteten demnach aktuell mit dem Vier-Tage-Modell.

Dem Stress will man das Deutsche Rote Kreuz Sangerhausen ab dem 1. Januar 2024 mit einem neuen Tarifvertrag vorbeugen: Vollzeitbeschäftigte müssen dann nur noch 36 Stunden pro Woche arbeiten. Die verteilen sich dann auf vier Tage statt fünf; die Arbeitszeit beträgt neun Stunden pro Tag.

Reduzierte Stundenzahl lässt Tarif steigen

Die Bezahlung bleibt gleich. Durch die reduzierte Stundenzahl stiegen für die Beschäftigten die Tarifentgelte im Jahr 2024 aber rechnerisch um mehr als elf Prozent, erklärt Andreas Claus, Vorstandsvorsitzender des DRK-Kreisverbandes. „Viele Kollegen wollen kürzer arbeiten oder ihre Schichten anders gestalten“, sagt er. „Gerade in der Pflege aber fühlen sich viele Mitarbeiter ihren Patienten verpflichtet. Und vergessen sich dabei manchmal selbst.“

Überlegungen zum Modell gebe es seit etwa vier Jahren. Eine interne Studie zeigte, dass mehr als ein Drittel der Arbeitszeit von Pflegekräften verloren gehe durch Schreibtischarbeit. Der Verband habe deshalb einige Aufgaben digitalisiert. „Weil für die Pfleger damit weniger zu tun war, überlegte man, die Schichten zu kürzen“, sagt Claus. „Da kamen wir auf die Idee, eine Vier-Tage-Woche einzuführen.“

„Steigende Bewerberzahlen“

Schon jetzt arbeite ein Großteil der Tarifbeschäftigten in Teilzeit, „durchschnittlich 33 Stunden“, sagt Claus. Die Neuberechnung habe deshalb „keine Probleme“ gemacht. „Wir konnten bei der Verteilung der Stunden so vorgehen wie bei den Schichten von Teilzeitkräften.“

Die Gewerkschaft Verdi und die Landestarifgemeinschaft des DRK-Sachsen-Anhalt handelten den Vertrag bislang nur für den Kreisverband Sangerhausen und für eine Laufzeit von zwei Jahren aus. Claus bekomme aber schon jetzt Anfragen von anderen Krankenhäusern. „Wir wollen einen Impuls setzen mit unserem Projekt“, betont er. Er hofft, mehr ausgebildete Pflegekräfte zu gewinnen.

Am Klinikum Bielefeld beobachtet Van Gellekom derweil erste Erfolge: „Wir erleben steigende Bewerberzahlen“, sagt er. Auch aus anderen Stationen am Klinikum meldeten sich demnach erste Interessenten.

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