Unwort 2023: „Remigration“ – Ein Alarmsignal gegen rechte Sprachstrategien

VonMyriam Nollte

15. Januar 2024

Die Jury für das „Unwort des Jahres“ hat „Remigration“ als Unwort des Jahres 2023 ausgewählt. Die Sprachwissenschaftlerin und Jury-Sprecherin Constanze Spieß bezeichnete das Wort in Marburg als „rechten Kampfbegriff“ und „beschönigende Tarnvokabel“. Es wird von rechten Parteien und rechtsextremen Gruppen für die Forderung nach Zwangsausweisung und Massendeportationen von Menschen mit Migrationsgeschichte verwendet.

Begriff aus der Migrationsforschung umgedeutet

Der Begriff „Remigration“, ursprünglich aus der Migrations- und Exilforschung und vom lateinischen „remigrare“ (zurückwandern) abgeleitet, wird laut Spieß bewususst ideologisch missbraucht. Er soll eine inhumane Abschiebe- und Deportationspraxis verbergen, indem er eine menschenunwürdige Praxis hinter vermeintlich harmlosen Formulierungen verbirgt. Die aktuelle Debatte um die AfD-Strategien macht diese Wahl besonders relevant, obwohl der Begriff selbst nicht neu ist.

Widerstand gegen rechte Ideologie

Die bundesweite Aufmerksamkeit erlangte der Begriff durch ein Treffen radikaler Rechter in Potsdam im November, an dem auch AfD-Funktionäre und Mitglieder der CDU und Werteunion teilnahmen. Martin Sellner, ehemaliger Kopf der Identitären Bewegung in Österreich, bestätigte, dort über „Remigration“ gesprochen zu haben. Dies führte zu Protesten von Zehntausenden in Berlin, Potsdam und anderen Städten gegen rechte Ideologien. Die Jury-Sprecherin Spieß erklärte, dass der Begriff bereits vor der aktuellen Debatte unter den Einsendungen für das „Unwort“ war.

Verdeckte Strategien und politische Implikationen

Die Jury warnt, dass solche scheinbar harmlosen Ausdrücke dazu dienen, rechtspopulistische und rechtsextreme Positionen in der Mitte der Gesellschaft zu normalisieren. Dies könnte sich 2024 in den Wahlkämpfen niederschlagen. Der Jury gehörten neben Sprachwissenschaftlern auch eine Journalistin und der CDU-Politiker Ruprecht Polenz an. Polenz kritisiert, dass „Remigration“ von AfD und Identitärer Bewegung zur Verschleierung ihrer wahren Absichten, der Deportation von Menschen mit anderer Herkunft oder Hautfarbe, auch wenn sie deutsche Staatsbürger sind, verwendet wird.

Differenzierte Meinungen zur „Unwort“-Wahl

Hans Vorländer, Vorsitzender des Sachverständigenrates für Integration und Migration, sieht die Benennung des „Unworts des Jahres“ kritisch und meint, dass es die Aufmerksamkeit auf den Begriff verstärkt. Trotzdem betont die Jury ihre Absicht, aufklären und aufmerksam machen zu wollen. Vorländer weist darauf hin, dass der Begriff „Remigration“ in der Migrationsforschung kaum noch verwendet wird, besonders nicht zur Beschreibung von freiwilliger oder erzwungener Ausreise aus Deutschland.

„Remigration“ ist eng verbunden mit dem rassistischen Konzept des „Ethnopluralismus“, welcher eine Trennung verschiedener Ethnien impliziert. Vorländer empfiehlt, beide Begriffe zu meiden, um nicht die Strategien von Rechtsextremisten zu unterstützen, die auf eine schleichende Veränderung der demokratischen Verfassungsordnung abzielen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betont auf der Plattform X, dass Menschen, die in Deutschland leben, arbeiten und die Grundwerte der Demokratie teilen, unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe dazugehören. Ann-Veruschka Jurisch, FDP-Innenpolitikerin, warnt, dass „Remigration“ ein gefährlicher Begriff ist und appelliert, wachsam gegenüber der Wortwahl der AfD zu sein.

Weitere kritisierte Begriffe

Neben „Remigration“ wurden auch „Sozialklimbim“ und „Heizungs-Stasi“ von der Jury kritisiert. „Sozialklimbim“ wurde im Kontext der Debatte um die Kindergrundsicherung verwendet und stigmatisiert einkommensschwache Personen und von Armut betroffene Kinder. „Heizungs-Stasi“ wurde im Zusammenhang mit dem Gebäudeenergiegesetz verwendet und als populistische Stimmungsmache gegen Klimaschutzmaßnahmen eingestuft.

Das „Unwort des Jahres“ wird aus Bürgervorschlägen ausgewählt, die bis Ende Dezember eingereicht werden. Kriterien sind Verstöße gegen Menschenwürde oder Demokratie, Diskriminierung gesellschaftlicher Gruppen sowie euphemistischer, verschleiernder oder irreführender Sprachgebrauch.

Quellen: Mit Material der dpa.

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