Berlin (KNA)Die vegane Ernährung habe sie krank gemacht. „Ich war einfach konstant müde und erschöpft, konnte mich nur schwer zu etwas motivieren“, erzählt Johanna Jakob. Mehr als sechs Jahre lang aß die Hamburgerin keine tierischen Produkte. Vor einigen Wochen dann der radikale Wandel: Ihr Speiseplan ist jetzt karnivor – Fleisch, Fisch, Eier, Butter. Sie habe jetzt viel mehr Energie, sagt die 38-Jährige.
Die Fleischverehrung ist ein Hype in den sozialen Netzwerken, kommt ursprünglich aus den USA. Mindestens genauso groß ist die vegane Gegenfraktion. Und auch der diesjährige Ernährungsreport der Bundesregierung bestätigt einen Trend: Immer häufiger greifen in Deutschland eingefleischte Wurst- und Käsefans zu vegetarischen oder veganen Alternativen – Frauen häufiger als Männer. 91 Prozent der Befragten geben an, auf eine gesunde Ernährung zu achten. Aber was ist wirklich gesund?
„Mensch ist Mischköstler“
„Der Mensch ist biologisch bevorzugt ein Mischköstler“, weiß Ernährungsforscher Stefan Kabisch von der Berliner Charite. Der 40-Jährige erforscht seit vielen Jahren die Auswirkungen von Diäten auf den menschlichen Körper. Extreme Ernährungsweisen seien inzwischen weit verbreitet – allerdings vor allem bei der jungen städtischen Bevölkerung, von der Pubertät an bis etwa 40. Außerdem setze sich eher die Oberschicht damit auseinander.
Karnivor, Keto, Vegan, Paleo – zu allem finden sich eine Reihe von geschäftstüchtigen Influencern, die einen gesunden Lebensstil versprechen. „Dabei haben wohl die meisten von ihnen überhaupt keine Expertise“, sagt Kabisch. Ohnehin gebe es bisher keine Studienlage, die es zuließe, auch nur eine dieser Trend-Diäten als besonders gesund zu bezeichnen. Eine vegane Ernährung sei zwar deutlich ratsamer als das, was die Fleischfans propagieren. Aus medizinischer Sicht ist vegan aber nicht gesünder als ein Pflanzen-Tier-Mix – aus ökologischer Sicht allerdings überfällig, sagt Kabisch.
Ohne konventionellen Fleischkonsum
Joel Luc Cachelin sieht das genauso: In seinem Buch „Veganomics“ skizziert der Betriebswirt und Gründer des Schweizer Think Thanks „Wissensfabrik“ eine Welt, die völlig ohne konventionellen Fleischkonsum auskommen möchte. Die verschiedenen Szenarien reichen von einer rein pflanzlichen Speisekarte über Insekten-, Muschelzucht und Laborfleisch bis hin zu dem Dogma „Es werden nur Tiere gegessen, die eines natürlichen Todes gestorben sind“.
Eine drastische Reduzierung des Fleischkonsums sei aus Gründen des Umweltschutzes notwendig: „Die Böden sind kaputt, und Tierhaltung setzt einen enormen Flächenbedarf voraus.“ Und auch der CO2-Ausstoß der Fleischindustrie sei ein Riesenproblem. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in 100 Jahren noch so essen wie heute“, sagt Cachelin. Jedenfalls sei eine vegane Ernährung heute keine Frage des Geldbeutels mehr – entscheidend sei allein das Interesse an einer bewussten Ernährung.
Dem widersprechen die Beobachtungen von Ernährungsforscher Kabisch. In einer 2021 veröffentlichten Studie zur Erschwinglichkeit verschiedener gesunder Diäten mit gleichem Kaloriengehalt hat er festgestellt: Für keine der untersuchten Ernährungsformen – fettarm, vegetarisch, vegan oder low carb – würde ein Hartz-IV-Satz reichen. Bei den heutigen Supermarktpreisen sollte das für das Bürgergeld äquivalent gelten, meint Kabisch. Noch viel zu oft seien eiweißarme Fertigprodukte die günstigere Alternative. Eine gesundheitsbewusste Ernährung bleibe meist Oberschichten vorbehalten.
Eine ketogene – also kohlenhydratarme – oder karnivore Diät, wie sie Johanna Jakob derzeit praktiziert, sieht der Wissenschaftler äußerst kritisch. „Ein paar Wochen, eventuell Monate kann der Körper das aushalten – länger nicht, ohne davon Schaden zu nehmen“, sagt Kabisch.
Hohe Eiweißlast und viele gesättigte Fettsäuren
Kohlenhydrate seien nicht essenziell, aber umgekehrt könne eine zu hohe Eiweißlast schnell zu Leber- und Nierenproblemen führen. Wer besonders häufig Tierisches zu sich nimmt, belaste seinen Organismus mit vielen gesättigten Fettsäuren und riskiere einen Mangel an wichtigen Vitaminen.
Johanna Jakob schwört trotzdem weiterhin auf tierisches Fett und Protein. „Fünf bis sechs Eier zum Frühstück, mit Speck und Butter. Dann bin ich erstmal satt. Generell gibt es jetzt alles mit Butter bei mir.“ Ihre tierische Kost sei einfach besser verwertbar, gut gegen Cellulite, und ihre Wassereinlagerungen seien auch verschwunden, erzählt sie – und liegt damit voll im Anti-Trend-Trend.