So übersteht man die Auflösung des Elternhauses

VonC. Peters

27. September 2023

Bonn (KNA)Wie soll ich das schaffen? Wo fange ich an? Das sind die ersten Fragen, die vielen durch den Kopf gehen, die vor der Aufgabe stehen, das Elternhaus aufzulösen, sagt Christina Erdmann. Die Pädagogin und Coach begleitet seit Jahren die Babyboomer-Generation dabei. Ihre Erfahrungen und Tipps hat sie in einem gerade veröffentlichten Buch geteilt: „Adieu Elternhaus“.

Was die Auflösung des Elternhauses zur Anstrengung macht, sagt Erdmann, sind nicht die Möbel und die vielen Dinge, sondern die Erinnerungen und Gefühle, die man damit verbindet. Sie machen es so schwer, Entscheidungen zu treffen oder Sachen wegzuwerfen. Daher empfiehlt sie, diesen Gefühlen unbedingt Raum zu geben – egal, wie sehr die Zeit drängt. Allerdings solle man auch nichts verklären oder beschönigen.

Fotos machen

Ebenfalls wichtig: das Elternhaus fotografieren, bevor es ausgeräumt wird – und dann die Bilder sicher speichern. Wer positive Erinnerungen hat, freut sich. Wer negative Erinnerungen hat, kann sich besser später verabschieden, meint Erdmann.

Die Wohnung oder das Haus der Eltern aufzulösen ist mitunter auch ein Auslöser für einen langen, intensiv geführten Familienstreit. „Vernünftige Argumente und Angebote prallen an uralten Verletzungen oder reiner Antipathie ab“, hat die Autorin festgestellt. Sie schlägt vor, gegebenenfalls juristischen Rat einzuholen oder aber in eine Erbmediation einzutreten.

Hilfe holen

Wenn also geklärt ist, was mit dem Haus passiert, ob es verkauft oder vermietet wird, die relevanten Dokumente, Versicherungen und Rechnungen gesammelt sind, kommt die unschöne Aufgabe, auszuräumen. Dafür stellt Erdmann Listen bereit, wie man am besten vorgeht. Vielleicht mit dem Zimmer anfangen, das die wenigsten Erinnerungen bereit hält?

Man kann, aber sollte das nicht alles alleine bewältigen. Hilfe ist wichtig. Wer kann einem bei welcher Aufgabe am besten helfen? Diese Personen sollte man gezielt ansprechen und um Hilfe bitten. Ebenso wichtig seien Erholungsphasen. „Verschaffen Sie sich außerdem einen Überblick darüber, was zeitlich, organisatorisch und auch finanziell auf Sie zukommt“, rät Erdmann.

Situation besprechen

Das Elternhaus auszuräumen ist nicht nur für die betreffende Person eine Ausnahmesituation. Hat sie einen Ehepartner und Kinder, sind auch sie betroffen. Man sollte die Situation gemeinsam besprechen, sagt Erdmann, und erklären, was in der nächsten Zeit auf alle zukommen wird.

Kindern sollte man klarmachen, dass wahrscheinlich einige Gewohnheiten eine Weile ausfallen – wie eine Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen -, dass man das aber sobald wie möglich wieder machen wird. „Diese Aussage vermittelt gerade Kindern das Gefühl, dass ihre vertraute Welt wiederhergestellt wird“, so die Autorin.

Container mit Deckel

Vorab-Organisation ist unverzichtbar. Hat man das alles geschafft, geht es an das Ausräumen. Dafür braucht man sehr wahrscheinlich einen Container, falls man keinen Entrümpler beauftragt. Erdmann empfiehlt, den Container unbedingt mit einem abschließbaren Deckel zu bestellen. Für einen guten Start schlägt sie vor, damit zu beginnen, was Platz schafft, für einen selbst wertlos und sofort zu entsorgen ist.

Beim Ausräumen kann man auf verschiedene Weise vorgehen. Das erinnerungsgeleitete Räumen ist emotional sehr intensiv und nimmt viel Zeit in Anspruch, hat Erdmann festgestellt. Eine andere Möglichkeit ist, einen Raum nach dem anderen auszuräumen. Sie empfiehlt jedoch: Räumen nach Kategorien. Dann trägt man alle Gruppen von Gegenständen zusammen, sammelt sie und entscheidet über deren Verbleib.

„Fünf V“

Und dann? Erdmann spricht von den „fünf V“: Verwenden, Verarbeiten, Verkaufen, Verschenken (auch Spenden) oder Vernichten. Sie rät zur Vorsicht dabei, sich für das Verwenden zu entscheiden, denn: „Dinge, die Sie explizit als Erinnerungsstücke an sich nehmen wollen, büßen häufig ihre ‚Erinnerungskraft‘ ein, wenn sie von ihrem angestammten Platz im Elternhaus entfernt werden.“

Und dann kommt der Tag, an dem alles erledigt ist und man sich von dem Haus oder der Wohnung verabschieden kann. Diesen Moment sollte man so für sich gestalten, wie es sich richtig anfühlt. Erdmann empfiehlt, den folgenden Abend freizuhalten, um das zu tun, was die Seele gerade braucht.

Tipps zum Ausräumen des Elternhauses

Pädagogin und Coach Christina Erdmann hat ein Buch mit Tipps veröffentlicht, wie man am besten bei der Auflösung des Elternhauses vorgeht. Ganz wichtig: Organisation ist alles. Erdmann beschreibt zwölf Schritte in drei Phasen: Sortieren, wertschätzen, loslassen. Zur konkreten Orientierung hat sie ihrem Buch Checklisten und Arbeitshilfen beigefügt.

Phase 1: Man stellt sich auf die Situation ein und beginnt mit sich selbst.

Man ordnet die Dokumente und klärt die Sachlage.

Man verschafft sich einen Überblick über die anfallende Arbeit.

Man bereitet alles vor, um den Rücken frei zu haben und die richtige Unterstützung zu bekommen.

Phase 2: Man beginnt mit dem Räumen – am besten in dem Zimmer, das am wenigsten emotionalen Wert hat.

Man legt die Vorgehensweise fest.

Man anerkennt die Entscheidungen der Eltern über die Dinge und fällt eigene.

Man akzeptiert das Unerwartete.

Man würdigt, was man bereits erreicht hat.

Phase 3: Man fällt die letzten großen Entscheidungen und bereitet die Übergabe des Elternhauses vor.

Man verabschiedet sich von dem Elternhaus auf die für einen selbst passende Art und Weise.

Man nimmt notwendige Nacharbeiten in Angriff wie den Verbleib von Erinnerungsstücken.

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