Riechen – Uralter Sinn fürs Überleben und Genießen

VonC. Peters

13. September 2023

Berlin/Bochum (KNA)Die Nase ermöglicht das Riechen und Schmecken, warnt frühzeitig vor Gefahren wie Feuer und ist auch entscheidend dafür, ob man jemanden im wahrsten Sinne des Wortes „gut riechen kann“ – oder eben nicht. Gleichwohl gehört das Riechen zu den eher unterschätzten Sinnen, haftet ihm doch etwas Animalisch-Triebhaftes an. So wie ein Hund intensiven Duft verströmen oder auch am Boden vor sich hin schnüffeln kann, das will der Mensch schließlich nicht – sollte er aber vielleicht.

In seinem neuen Buch stellt der Zellphysiologe Hanns Hatt, der an der Ruhr-Universität Bochum lehrt, unter dem Titel „Die Lust am Duft. Wie Gerüche uns verführen und heilen“ die Nase und ihre Eigenschaften ins Zentrum. Dabei wird deutlich, dass Gerüche eng mit Emotionen verbunden sind und diese wecken können: Die Nase leitet alle Duftsignale schnurstracks ins Erinnerungs- und Emotionszentrum des Gehirns weiter. So rufen etwa der vertraute Familien- und auch der Heimatgeruch immer dieselben Gefühle wach wie beim ersten Kennenlernen. Soll heißen: Wer auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, spaziert gern dort, wo es nach Kuhfladen riecht.

Nase ist empfindlichstes Sinnesorgan

„Philosophen verachteten das Riechen als niederen, sogar unnötigsten Sinn, als Sinn des Genusses, nicht des Denkens. Auch in der Physiologie zählt das Riechen zusammen mit dem Schmecken und Tasten zu den niederen Sinnen“, so Hatt. „Richtig ist aber: Die Nase ist unser empfindlichstes Sinnesorgan und greift tief in unser Leben ein“. Auf insgesamt 141 Seiten erklärt der Mediziner, wie das Riechen funktioniert, wie bestimmte Düfte empfunden werden und warum Geruch auch in der medizinischen Forschung eine immer größere Rolle spielt.

„Duftrezeptoren existieren im ganzen Körper. Und sie spielen auch bei Krankheiten eine Rolle, sogar bei Krebserkrankung“, erklärt Hatt und verweist auf wissenschaftliche Untersuchungen der vergangenen Jahre. So wurden Riechrezeptoren demnach im Gewebe zahlreicher Tumorarten gefunden. „Werden diese Rezeptoren durch einen bestimmten Duftstoff aktiviert, kann das viele zellbiologische Wirkungen haben“, so Hatt.

So werde etwa durch einen Duftstoff aus der Ligusterblüte der Riechrezeptor in Dickdarmkrebszellen aktiviert – die Krebszellen starben ab oder wuchsen langsamer. Schnuppern gegen Krebs: Damit Patienten davon profitieren können, seien noch klinische Studien nötig, betont der Wissenschaftler.

Es gibt Rechts- und Linksnasen

Er erklärt auch, wie das Riechen überhaupt funktioniert. Eine Nasenseite dürfe sich stets ausruhen, so der Forscher. „Die Menschen unterscheiden sich dabei in Rechts- und Linksnasen. Die einen riechen zu 80 Prozent des Tages durch die das rechte Nasenloch, zu 20 Prozent durch das linke, bei den anderen ist es umgekehrt.“

Keine Überraschung – Tiere können besser riechen als Menschen. Ein Schäferhund hat 200 Millionen Riechzellen, der Mensch nur 20 Millionen. Spitzenreiter in Sachen Riechen ist allerdings der Aal; er hat etwa eine Milliarde Riechzellen. Wissenschaftler haben ausgerechnet, dass die Aalnase bereits einen Tropfen Parfüm in der dreifachen Wassermenge des Bodensees aufspüren kann – nützlich für Beutejagd und Paarungslust.

Aber nicht nur Fruchtbarkeit lässt sich von Mensch und Tier erschnüffeln: „Wie Tiere produzieren wir offenbar Warnsignale, wenn wir Angst verspüren“, so Hatt. „Der Angstschweiß des Menschen ist unverkennbar und löst unbewusst bei allen Menschen gleiche Reaktionen aus: Man wird aufmerksamer, aktiver, aber auch etwas ängstlich und empathischer.“

Die Nase schläft nie – auch wenn man selbst dies tut. So zeigen Experimente im Schlaflabor, dass Gerüche, die man während des Schlafs wahrnimmt, unterschiedliche Wirkungen haben. Beim üblen Geruch von Fäkalien etwa berichten die Menschen nach dem Aufwachen von unangenehmen Erlebnissen in ihren Träumen, so Hatt.

Der Mediziner fördert in seinem Buch auch viel Kurioses zutage: So ist das für teure Männerdüfte verwendete „Ambra“ nichts Anderes als das getrocknete Erbrochene eines Pottwals. Die Tiere entledigen sich so unverdaulicher Reste. Schon in der Antike diente die Substanz demnach als wohlriechendes Heilmittel und Aphrodisiakum.

Riechtraining als Gehirnjogging – Tipps für bewussteres Riechen

– Mit Kindern frühzeitig das Riechen trainieren: Schon Kindern können gute Riechfähigkeiten mit auf den Weg gegeben werden. Eltern sollten sie anleiten, an Blumen zu schnuppern, an den Lebensmitteln, bevor sie gegessen werden oder vielleicht auch mal bewusst am Mitmenschen, wenn man sich umarmt. Mit bewusstem Riechen kann man Kindern und Jugendlichen demnach auch die Fähigkeit vermitteln, Naturprodukte von synthetischen Imitaten zu unterscheiden, also zum Beispiel den Original-Mangoduft vom künstlichen.

– Riechen als Training im Alter: Im Alter wird die Fähigkeit zu riechen oft schlechter. Man kann das verzögern, indem man bestimmte Übungen macht. Das trainiert nicht nur die Nase, sondern auch das Gehirn, weil durch Düfte Emotionen hervorgerufen und dadurch größere Teile des Gehirns aktiviert werden. Konkret: jeden Tag mit geschlossenen Augen versuchen, vier bis fünf unbekannte Düfte zu identifizieren – das kann Handcreme sein oder ein Gewürz. Und dann versuchen, diesen Geruch auch in sehr kleinen Mengen zu erkennen.

– Riechfähigkeit nach Schnupfen wieder aktivieren: Mit dem Herbst kommt der Schnupfen, und plötzlich schmeckt alles nach nichts. Die Nase ist verstopft. Das ist normal. Erst wenn der Zustand anhält, sollte man überlegen, das eigene Riechvermögen beim Arzt testen zu lassen.

Für den normalen Schnupfen wie auch für eine Corona-Infektion gibt es ein erstes Hilfsmittel: geduldiges Abwarten. Meist schafft es die Riechschleimhaut, sich zu regenerieren; allerdings kann das im Fall einer Corona-Erkrankung einige Wochen oder auch Monate dauern. Wer die Regeneration unterstützen möchte, kann mit verschiedenen Duftölen morgens und abends seine Nase trainieren, empfiehlt Hatt.

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