Berlin (dpa) – Der Linke-Vorstand hat sich von der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht losgesagt und sie zur Rückgabe ihres Mandats aufgefordert. «Die Zukunft der Linken ist eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht», heißt es in einem Beschluss des Parteivorstandes am Wochenende in Berlin.
Hintergrund des Dauerstreits ist, dass die Ex-Fraktionschefin seit längerem darüber nachdenkt, eine eigene Partei zu gründen. Die Linke-Führung hat das wiederholt scharf kritisiert und Wagenknecht gedrängt, sich zu entscheiden.
Die jetzige Linksfraktionschefin Amira Mohamed Ali kritisierte das Vorgehen der Parteiführung. «Ich halte den heutigen Beschluss des Parteivorstandes von Die Linke für einen großen Fehler und einer Partei unwürdig, die sich Solidarität und Pluralität auf die Fahnen schreibt», schrieb sie auf Twitter.
«Wir haben unseren Wählerinnen und Wählern und all den Menschen gegenüber, die ohne uns keine Stimme haben, eine wichtige Aufgabe. Vorstandsbeschlüsse gegen eigene Mitglieder zu fällen und öffentlich breitzutreten, gehört nicht dazu!» Mohamed Ali führt die Fraktion zusammen mit Dietmar Bartsch.
Der frühere Linke-Vorsitzende Klaus Ernst forderte als Reaktion auf den Beschluss den Rücktritt des derzeitigen Parteivorstands. Ernst schrieb in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Abgeordneten Alexander Ulrich: «Wir fordern den Vorstand auf, seinen geschlossenen Rücktritt zu erklären.» Über das Schreiben berichtete zuerst «The Pioneer» – es liegt auch der Deutschen Presse-Agentur vor.
«Fairness gegenüber den Mitgliedern»
Wagenknecht hatte erst am Freitag bekräftigt, dass sie bis zum Jahresende über ihre Zukunft in der Linken und eine mögliche Parteigründung entscheiden will. Zuvor hatte sie bereits erklärt, nicht mehr für die Linke für den Bundestag zu kandidieren. Wagenknecht wollte sich auf Nachfrage zunächst nicht öffentlich zu dem Beschluss des Parteivorstandes äußern.
In dem Vorstandsbeschluss heißt es mit Blick auf sie und ihre Mitstreiter: «Es ist ein Gebot des politischen Anstandes und der Fairness gegenüber den Mitgliedern unserer Partei, wenn diejenigen, die sich am Projekt einer konkurrierenden Partei beteiligen, konsequent sind und ihre Mandate zurückgeben.» Es sei nicht akzeptabel, dass Ressourcen aus Mandaten, die für die Linke gewonnen worden seien, für den Aufbau einer Konkurrenzpartei genutzt würden.
Parteichefin Janine Wissler erklärte, der Vorstand kämpfe um die Einheit der Partei und gegen alle Versuche, sie zu spalten. Minderheitenmeinungen würden respektiert. «Wir erwarten aber, dass die demokratischen Beschlüsse der Partei ernst genommen werden und sie auch eingehalten werden.» Sie warf Wagenknecht vor, mit einer Parteigründung zu drohen, um die Linke auf einen anderen Kurs zu bringen, als die Gremien demokratisch beschlossen hätten.
Der Vorstandsbeschluss am Samstag sei einstimmig angenommen worden. Auf die Frage, was passiere, wenn Wagenknecht ihr Mandat nicht niederlege, sagte Co-Parteichef Martin Schirdewan, es sei eine «Erwartungshaltung» formuliert worden – konkreter wurde er nicht. Laut Wissler spielte ein möglicher Parteiausschluss Wagenknechts in der Sitzung keine Rolle. Ein Parteiausschluss gilt als schwierig.
Auch Unterstützer innerhalb der Partei
Zwischen Wagenknecht und der Parteispitze sowie anderen Mitgliedern gibt es seit Jahren Streit über grundsätzliche Positionen. In der Flüchtlingspolitik sprach Wagenknecht sich gegen offene Grenzen aus; sie äußerte sich in der Corona-Zeit skeptisch zur Impfung; in ihrem Buch «Die Selbstgerechten» rechnete Wagenknecht mit dem gender- und klimaengagierten Teil ihrer Partei ab, und auch beim Thema Ukraine eckt sie mit ihrem Kurs an, der einigen zu russlandnah erscheint.
Wagenknecht hat aber auch Unterstützer in Partei und Fraktion – etwa den Bochumer Abgeordneten Christian Leye. Er teilte zum Vorstandsbeschluss mit: «Sahra Wagenknecht ist um ein Vielfaches populärer als die Partei, und das heutige Manöver ist ein weiterer Schritt Richtung Abgrund.» Die Aufgabe des Parteivorstands wäre es nach Leyes Auffassung gewesen, die zugrundeliegenden politischen Konflikte zu moderieren. Der Bundestagsabgeordnete Alexander Ulrich sagte, Wagenknecht solle auf keinen Fall ihr Mandat zurückgeben.
Die Linke hat im Bundestag 39 Abgeordnete. Bei der Bundestagswahl 2021 hatte sie die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt und den Einzug nur über drei direkt gewonnene Mandate geschafft. Danach hatte die Partei bei allen Landtagswahlen zum Teil herbe Niederlagen eingesteckt.