Moskau/Kiew/Washington (dpa) – Nach den Drohnenangriffen in Moskau hat Russland der Ukraine mit Vergeltungsschlägen gedroht. Neben Kremlchef Wladimir Putin, der Kiew Terror vorwarf und eine Reaktion ankündigte, schwor sein enger Vertrauter Ramsan Kadyrow Rache: Der Anführer der russischen Teilrepublik Tschetschenien im Nordkaukasus forderte die Verhängung des Kriegsrechts in Russland, um härter gegen die Ukraine vorzugehen. Die immer wieder von Russland angegriffene Ukraine hatte eine direkte Verantwortung für die Attacken gegen Moskau zurückgewiesen.
«Wir werden in der Zone der militärischen Spezialoperation bald zeigen, was Rache im ganzen Sinne des Wortes ist», schrieb Kadyrow in seinem Blog im Nachrichtenkanal Telegram. Einmal mehr drohte er auch Westeuropa mit russischen Angriffen, Russland könne an die Türen zum Beispiel Deutschlands oder Polens klopfen, meinte er.
Während Moskau erst seit kurzem Schauplatz derartiger Drohnenattacken ist, berichten vor allem auch grenznahe Regionen zur Ukraine schon seit längerem immer wieder von Angriffen mit Artillerie und Drohnen aus dem Nachbarland. Der Gouverneur des Gebiets Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, meldete gestern Abend neuen Beschuss der Region von ukrainischer Seite. Es gebe einen Toten und Verletzte.
In der russischen Hauptstadt hatte die Flugabwehr gestern Morgen mehrere Drohnen abgeschossen. Nach Angaben der Behörden wurden mehrere Häuser beschädigt und zwei Menschen verletzt. Woher die Drohnen kamen, blieb unklar. Bereits Anfang Mai war ein Drohnenangriff über dem Kreml abgewehrt worden. Kremlchef Putin lobte die Arbeit der Luftverteidigung, sagte aber auch, dass sie dichter und besser werden müsse.
Weißes Haus: Unterstützen keine Angriffe innerhalb Russlands
Die US-Regierung bekräftigte nach den Drohnenangriffen auf Moskau, sie unterstütze keine Angriffe innerhalb Russlands. «Wir haben uns nicht nur öffentlich, sondern auch privat gegenüber den Ukrainern klar geäußert, aber wir wollen uns nicht auf Hypothesen einlassen», sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, in Washington. Man sammle derzeit Informationen, um herauszufinden, was genau passiert sei. Gleichzeitig machte sie deutlich: «Wir unterstützen keine Angriffe innerhalb Russlands. Punkt.»
Dagegen hat die Ukraine nach Meinung des britischen Außenministers James Cleverly das Recht, zum Zweck der Selbstverteidigung auch Ziele auf russischem Staatsgebiet anzugreifen. «Legitime militärische Ziele außerhalb ihrer eigenen Grenze sind Teil des Selbstverteidigungsrechts der Ukraine», sagte Cleverly gestern bei einer Pressekonferenz mit seinem estnischen Amtskollegen Margus Tsahkna in Estlands Hauptstadt Tallinn. Zu den auf Moskau niedergegangenen Drohnen wollte sich Cleverly nicht äußern.
Selenskyj lobt Entschlossenheit von Kanzler Scholz
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj würdigte unterdessen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für dessen «Entschlossenheit» bei der Unterstützung seines von Russland angegriffenen Landes. Er habe Scholz gestern bei einem Telefonat gedankt für die von Deutschland gelieferten Luftverteidigungssysteme, die das Leben von Ukrainern gerettet hätten, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft. «Und ich danke Olaf, Herrn Bundeskanzler, für seine persönliche Entschlossenheit, die in vielerlei Hinsicht zur Bestimmung für ganz Europa wird.»
Auch lange nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 stand Deutschland wegen zögerlicher Hilfe in der Kritik. Die Kritik wurde leiser, als Berlin Rüstungsgüter wie schwere Kampfpanzer und Flugabwehrsysteme lieferte. Selenskyj bezifferte die militärische Gesamthilfe Deutschlands für sein Land auf inzwischen drei Milliarden Euro.
Der ukrainische Präsident machte deutlich, dass ein effektives Flugabwehrsystem zu den Hauptzielen seiner Verteidigungspolitik zähle. «Der russische Terror muss jeden Tag und jede Nacht besiegt werden, am Himmel jeder ukrainischen Stadt und jedes Dorfes», sagte er. Die Ukraine erlebt in diesem Mai so viele Drohnen- und Raketenangriffe wie noch nie in einem Monat seit Kriegsbeginn. Weil es immer wieder auch Beschwerden über fehlende Schutzbunker gibt, forderte der Staatschef die Behörden zum Handeln auf: «Schutzräume müssen in allen Städten zugänglich sein.» Es müssten auch mehr werden.
IAEA-Chef formuliert Sicherheitsregeln für ukrainisches Akw
Besorgt ist die Ukraine auch weiter um ihr von russischen Truppen besetztes Atomkraftwerk Saporischschja. Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, nannte Richtlinien zum Schutz des größten europäischen Kernkraftwerks. «Es darf kein Angriff jeglicher Art von oder gegen die Anlage erfolgen, insbesondere gegen die Reaktoren, die Lager abgebrannter Brennelemente, andere kritische Infrastruktur oder das Personal», sagte Grossi gestern vor dem UN-Sicherheitsrat in New York.
Er rief Russland und die Ukraine dazu auf, die Regeln zu befolgen, damit kein radioaktives Material freigesetzt wird. Zudem dürfe Saporischschja nicht als Militärbasis genutzt werden oder als Lager für Waffen wie zum Beispiel Panzer oder Artillerie, die von der Anlage aus eingesetzt werden könnten. Auch die externe Stromversorgung sei zu gewährleisten, das Werk müsse vor Sabotageakten geschützt werden. Sämtliche Verstöße würden durch ihn öffentlich gemacht, so Grossi weiter.
Das größte Atomkraftwerk Europas im Gebiet Saporischschja war im Zuge der russischen Invasion Anfang März 2022 unter russische Kontrolle geraten. Artillerieduelle um das Kraftwerksgelände lösten im vergangenen Sommer Sorge vor einer Atomkatastrophe aus. Die sechs Blöcke mit einer Gesamtnettoleistung von 5700 Megawatt sind deswegen heruntergefahren worden und werden nur noch gekühlt. Beobachter gehen davon aus, dass die Befreiung des Kraftwerks eines der Hauptziele der ukrainischen Großoffensive ist.
Was heute wichtig wird
In der ostukrainischen Stadt Bachmut setzt der Chef der russischen Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, nach eigenen Angaben den Abzug seiner Truppen fort. An diesem Donnerstag will er die eroberte, aber von der Ukraine nicht aufgegebene Stadt der Kontrolle der regulären russischen Armee überlassen.
Zudem kommen die Nato-Außenminister in Oslo zusammen. Thema sollen der Krieg in der Ukraine, die Stärkung der Ostflanke und der bevorstehende Gipfel am 11. und 12. Juli in Litauen sein.