Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

VonJudith Eichhorn

23. August 2023

Kiew/Moskau (dpa) – Eine große Mehrheit der Ukrainer hat sich in einer Umfrage gegen Kompromisse mit dem Kriegsgegner Russland im Tausch für einen Friedensschluss ausgesprochen.

Den gestern veröffentlichten Ergebnissen zweier renommierter Institute zufolge sind mehr als 90 Prozent der rund 2000 Befragten gegen Gebietsabtretungen. Knapp 74 Prozent schlossen den Verzicht auf einen Nato-Beitritt aus. Die Präsidenten der Ukraine und Russlands bemühten sich derweil bei den Staats- und Regierungschefs anderer Länder um breite Rückendeckung. In Moskau wehrte die Luftabwehr nach Behördenangaben neue ukrainische Drohnenangriffe ab. Die Umfrage wurde in den von der Regierung kontrollierten Regionen ohne die Gebiete Luhansk, Donezk und die Krim-Halbinsel durchgeführt.

Ukraine: Russisches Flugabwehrsystem auf der Krim zerstört

Der ukrainische Militärgeheimdienst zerstörte unterdessen eigenen Angaben zufolge ein russisches Flugabwehrsystem S-400 «Triumph» auf der von Moskau annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim zerstört. «Infolge der Explosion wurden die Anlage, die zugehörigen Raketen und das Bedienungspersonal komplett vernichtet», teilte der Geheimdienst mit.

Dazu wurden Drohnenaufnahmen veröffentlicht, die die Explosion auf der Landzunge Tarchankut am westlichsten Ende der Halbinsel zeigen sollen. In sozialen Netzwerken wurden zudem Bilder von einer großen Explosionswolke verbreitet. Mit welchen Mitteln das russische Flugabwehrsystem angegriffen wurde, teilte die ukrainische Behörde zunächst nicht mit. Russland äußerte sich zunächst nicht dazu.

Der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow, hatte am Dienstag weitere Angriffe auf die bereits im Jahr 2014 völkerrechtswidrig von Russland einverleibte Krim angekündigt. Parallel dazu hatte das Verteidigungsministerium in Moskau auch von zwei US-amerikanischen und einer ukrainischen Aufklärungsdrohne in der Nähe der Krim berichtet.

Tote und Verletzte infolge russischer Angriffe

Durch russischen Beschuss und Angriffe mit Drohnen wurden unterdessen in der Ukraine mindestens sechs Zivilisten getötet. Im nordostukrainischen Gebiet Sumy wurden in der Stadt Romny bei einem Drohnenangriff auf eine Schule mindestens zwei Lehrer getötet, teilte Innenminister Ihor Klymenko mit. Mindestens drei weitere Menschen wurden demnach verletzt.

Auch im ostukrainischen Gebiet Donezk gab es zivile Opfer. Durch Artilleriebeschuss sind laut Behördenangaben am Vortag drei Zivilisten getötet und weitere vier verletzt worden. Im benachbarten Gebiet Charkiw gab es einen Verletzten. Durch Angriffe mit Gleitbomben und Artillerie wurde zudem im südukrainischen Gebiet Cherson mindestens ein Mensch getötet und weitere elf verletzt.

Massive Artillerie-, Drohnen- und Raketenangriffe habe es auch im angrenzenden Gebiet Saporischschja gegeben. Dort gab es den Behörden zufolge keine zivilen Opfer.

Selenskyj dankt EU-Ländern für Militär- und Aufbauhilfe

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigte sich zufrieden mit den Ergebnissen seiner mehrtägigen Reise durch europäische Hauptstädte und dankte den Ländern für zugesagte Militär- und Aufbauhilfe. «Es gibt Flugzeuge für die Ukraine. Es gibt zusätzliche Panzertechnik und wir stärken die Luftabwehr», sagte er in seiner täglichen Videoansprache. Aufgenommen worden war sie diesmal in einem Zug, mit dem Selenskyj nach einer Reise durch verschiedene EU-Länder zurück nach Kiew fuhr.

Nach Aufenthalten in Schweden, den Niederlanden und Dänemark habe er am Ende Griechenland besucht und gleich mehrere Staats- und Regierungschefs der Balkan-Region gesprochen, erklärte Selenskyj. Dänemark und die Niederlande hatten der Ukraine zuletzt die Lieferung von westlichen Kampfjets des Typ F-16 zugesichert. Bei Griechenland bedankte sich Selenskyj nicht nur für die Waffenhilfe, sondern auch für die Zusage, die Schirmherrschaft für den Wiederaufbau der durch russische Raketen- und Drohnenangriffe mehrfach getroffenen ukrainischen Hafenstadt Odessa zu übernehmen.

Putin weist Schuld für Bruch des Getreideabkommens von sich

Währenddessen erneuerte Russlands Präsident Wladimir Putin während eines Auftritts beim Brics-Gipfel in Südafrika seine Kritik am Westen und der Ukraine. So sei das Getreideabkommens mit der Ukraine ausgesetzt worden, weil keine der vertraglich festgehaltenen Bedingungen zur Erleichterung des Exports von russischem Getreide und Dünger erfüllt worden sei. «Die Verpflichtungen gegenüber Russland diesbezüglich wurden einfach ignoriert», behauptete er in einer per Video übertragenen Rede beim Treffen der Brics-Gruppe wichtiger Schwellenländer in Südafrika.

Moskau werde die Blockade ukrainischer Häfen erst dann aufheben und zum Abkommen zurückkehren, wenn alle russischen Forderungen erfüllt seien, so Putin. Zugleich bot er an, ukrainische Getreidelieferungen auf dem Weltmarkt durch russische Transporte zu ersetzen, «sowohl auf kommerzieller Basis als auch durch unentgeltliche Hilfe an die bedürftigen Länder». Die im vergangenen Sommer unter Vermittlung der UN und der Türkei geschlossene Vereinbarung zur Ausfuhr ukrainischen Getreides hatte Moskau trotz internationaler Warnungen vor einer Lebensmittelkrise Mitte Juli ausgesetzt.

Biden-Berater: Weiter parteiübergreifende US-Unterstützung

Die US-Regierung sichert der Ukraine weiterhin langfristige Unterstützung zu – trotz anderslautender Töne aus Teilen der Republikanischen Partei. Der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, sagte, es gebe sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat starke republikanische und demokratische Stimmen in wichtigen Führungspositionen, die sich für die Fortsetzung der finanziellen Unterstützung für Kiew einsetzten. Die Regierung gehe daher davon aus, dass die Hilfe für Kiew aufrechterhalten werde, auch wenn es auf republikanischer Seite einige abweichende Stimmen gebe.

London: Russischer Nachschub muss teils große Umwege nehmen

Die russischen Truppen in der Südukraine müssen nach ukrainischen Angriffen auf Brücken teils lange Nachschubwege nehmen. Das geht aus dem täglichen Geheimdienstbericht des Verteidigungsministeriums in London am Mittwoch hervor. Demnach wurden zwei Brücken zwischen der russisch besetzen Schwarzmeerhalbinsel Krim und dem Süden der Ukraine Anfang August von Präzisionsschlägen getroffen und beschädigt. Noch Mitte des Monats seien an den Übergängen von Tschonhar und Henitschesk Schwimmbrücken im Einsatz gewesen, teilten die Briten mit.

«Die Pontonbrücken dürften nicht das gesamte Aufkommen an schweren Fahrzeugen mit Munition und Waffen aushalten können», so die Mitteilung weiter. Der daraus resultierende Engpass bedeute, dass die russischen Kräfte teilweise auf einen langen Umweg über Armiansk auf der nördlichen Krim angewiesen seien. «Das stellt eine zusätzliche Belastung für Russlands logistisches Netzwerk im Süden dar», hieß es in der Mitteilung weiter.

Russland greift Hafen in Südukraine an

Russland griff in der Südukraine nach ukrainischen Angaben erneut einen Hafen mit sogenannten Kamikaze-Drohnen an. Fertigungs- und Umschlagsanlagen seien getroffen worden, teilte der Gouverneur des südukrainischen Gebiets Odessa, Oleh Kiper, am Mittwoch bei Telegram mit. Dadurch sei ein Feuer auf einer Gesamtfläche von 700 Quadratmetern ausgebrochen. Auf Bildern waren zerstörte Lagerhallen mit Getreide zu sehen. Örtlichen Medien zufolge handelte es sich um Objekte beim Donauhafen von Ismajil an der rumänischen Grenze, der bereits Anfang August attackiert worden war.

Über mögliche zivile Opfer wurde nichts mitgeteilt. Laut der ukrainischen Luftwaffe wurden in der Nacht insgesamt 20 Kampfdrohnen auf die Ukraine abgefeuert, wovon die Luftverteidigung 11 abfing.

Was heute wichtig wird

In Südafrikas Wirtschaftsmetropole Johannesburg geht der Gipfel der Brics-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika weiter. Kremlchef Putin will sich zur Plenarsitzung erneut per Video zuschalten lassen.

Quellen: Mit Material der dpa.

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