Hamburg (dpa) – Sollten die meisten Menschen Kinder haben? Bei der Antwort klafft in Deutschland nach Umfragedaten eine riesige Lücke zwischen Männern und Frauen. Fast zwei Drittel der Männer (59 Prozent) bejahen diese Frage – bei den Frauen sind es nur ein Drittel (33 Prozent), wie eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos ergab.
Expertinnen sehe eine entscheidende Ursache für die unterschiedlichen Antworten darin, dass Kinder noch immer eher zulasten der Frau gehen. Für Männer verändere sich zwar durch die Geburt eines Kindes grundsätzlich auch sehr viel, wesentliche Grundfeste ihres Lebens blieben aber oft stabiler als bei den meisten Frauen, erklärt die Psychologin Mareile Poettering aus Sonthofen.
Berechtigte Angst um die Karriere
Von Frauen werde oft viel in Ausbildung, Job und Karriere investiert. «Folglich haben sie eine berechtigte Angst davor, dass diese Karriere durch die Geburt eines Kindes beeinträchtigt wird», sagt Poettering. Tatsächlich bedeuteten Kinder für Frauen oft eine andere berufliche Laufbahn. Teilweise würden Mütter auf niedrigere Posten gesetzt oder verlören ihren Job sogar über kurz oder lang.
Der Spagat zwischen Familie und Beruf werde noch dadurch erschwert, dass Unternehmen mit familien- oder kinderfreundlichen Arbeitsmodellen in Deutschland keine Selbstverständlichkeit seien, erklärt Poettering. Dabei sei es vielen Frauen wichtig, selbst Geld zu verdienen. Hinzu komme die Sorge, das Geld für eine Familie nicht aufbringen zu können. «Und solche Ängste sind begründet.»
Finanzielle Ängste
So sei mit Kind oft eine größere Wohnung nötig – und solche Wohnungen seien aktuell ebenso rar gesät wie oft unbezahlbar. Auch andere Kosten stiegen stetig. Zudem lebten junge Paare heutzutage oft weit entfernt von ihren Herkunftsfamilien und könnten nicht auf deren Unterstützung bei der Betreuung setzen. Von kinderlosen Frauen sei in der Summe oft zu hören, dass sie sich sorgten, die «Aufgabe Kind» nicht bewältigen zu können – zumal sie im Bekanntenkreis oft die immense Überforderung junger Mütter sähen.
Betroffen von Mehrfachbelastung seien vor allem Frauen der sogenannten Mittelschicht, ergänzt die Kölner Psychologin Petra Jagow. In der vermögenden Gruppe gebe es genügend Ressourcen etwa für die Kinderbetreuung. In der eher armen Gruppe wiederum fielen bestimmte Belastungen – etwa durch den Job – oft weg, frühe Mutterschaft gelte bei einigen jungen Frauen nach wie vor als attraktiver als eine Ausbildung.
Hohe Erwartungen an das Leben
Den zweiten wesentlichen Aspekt neben den Ressourcen sehen die Expertinnen in den Ansprüchen und Erwartungen an das eigene Leben – mit dem Wunsch, es möglichst selbstbestimmt gestalten zu können. «Gerade in Deutschland ist das aufgrund der Rahmenbedingen schlechter möglich als in den uns umgebenden Ländern», ist Jagow überzeugt. «Egal, wie Frau es macht, sie macht es verkehrt – und den Begriff „Rabenmutter“ gibt es nur bei uns.»
Im Ganzen ergibt sich das Bild, dass Frauen vielleicht ein Kind möchten, aber nicht bereit sind, den aktuell hohen Preis dafür zu bezahlen, wie Jagow sagt. Um das zu ändern, müssten entscheidende Rahmenbedingungen verbessert werden, etwa bei Kinderbetreuung, bei den Arbeitsbedingungen und bei der Rentengestaltung.
EU-weit ist der Unterschied nach den Ipsos-Daten tatsächlich etwas kleiner: 53 Prozent der Männer stimmen zu, dass die meisten Leute Kinder haben sollten, bei den Frauen sind es 39 Prozent.
Quellen: Mit Material der dpa.