Tel Aviv/Gaza/Berlin (dpa) – Die israelische Luftwaffe hat über das Wochenende die Angriffe auf den Gazastreifen nochmals verstärkt, um eine Bodenoffensive gegen die islamistische Hamas vorzubereiten. Israels Generalstabschef Herzi Halevi kündigte an: «Wir werden in den Gazastreifen reingehen. Wir werden für eine operative, professionelle Mission reingehen: um die Hamas-Aktivisten und die Infrastruktur der Hamas zu eliminieren.» Die Zahl der Toten und Verletzten im Gazastreifen stieg unterdessen weiter an.
Hilfslieferungen für die notleidenden Menschen in dem von Israel abgeriegelten Landstrich mit gut zwei Millionen Einwohnern kamen nur langsam voran. Ein zweiter Konvoi aus 17 Lastwagen vor allem mit Arznei- und Lebensmitteln fuhr am Sonntag von Ägypten aus zum Gazastreifen. Am Vortag hatte die erste Lieferung seit Beginn des Gaza-Kriegs am 7. Oktober die Grenze passiert.
Tausende Menschen demonstrierten am Sonntag in Berlin gegen Antisemitismus und für Solidarität mit Israel. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz riefen die Bürger in Deutschland zum Schutz des jüdischen Lebens im Land auf.
Die US-Regierung ist besorgt über eine mögliche Ausweitung des Konfliktes im Nahen Osten und verlegte weitere Waffensysteme in die Region. Er habe die Stationierung von Raketen- und Luftabwehrsystemen befohlen, gab US-Verteidigungsminister Lloyd Austin bekannt. Zuvor hatten die USA bereits Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer verlegt, darunter zwei Flugzeugträger. «Wir haben Raketen- und Drohnenangriffe auf Stützpunkte unserer Truppen im Irak und in Syrien erlebt», sagte Austin dem Fernsehsender ABC. «Wir sind besorgt über eine mögliche Eskalation.»
Armee: Mindestens 212 Geiseln werden im Gazastreifen festgehalten
Die Zahl der Geiseln im Gazastreifen liegt nach Angaben der israelischen Armee bei mindestens 212. Deren Familien seien bisher informiert worden. Unter den Entführten sind auch Deutsche. Zwei US-Geiseln waren am Freitag freigelassen worden.
Hunderte Terroristen hatten am 7. Oktober im Auftrag der Hamas Israel überfallen und im Grenzgebiet Massaker angerichtet. Israel hat seither mehr als 1400 Tote zu beklagen, der Großteil davon Zivilisten. Die Identifikation der Leichen dauert an.
Hamas-Ministerium: Seit Kriegsbeginn mehr als 4651 Tote in Gaza
Seit dem Angriff hat Israels Armee nach eigenen Angaben Hunderte Ziele in dem dicht besiedelten Gazastreifen angegriffen. Die Zahl der getöteten Palästinenser in dem Küstengebiet stieg nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums auf 4651, wie ein Sprecher mitteilte. Die Zahlen waren zunächst nicht unabhängig zu überprüfen. 14.245 Palästinenser wurden demnach verletzt.
Nach UN-Angaben sind angesichts der Luftangriffe etwa 1,4 Millionen Menschen im Gazastreifen aus ihren Häusern vertrieben. Mehr als 544.000 von ihnen hätten in Einrichtungen des Palästinenserhilfswerks UNRWA Schutz gesucht. Nach den Evakuierungsaufrufen an die Menschen im nördlichen Gazastreifen sind nach israelischen Militärangaben rund 700.000 Palästinenser in den Süden des Küstenstreifens geflohen.
UN: Für Gazastreifen täglich 100 Lastwagen mit Hilfsgütern nötig
Zur Versorgung der Zivilbevölkerung wären nach Ansicht von UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths pro Tag mindestens 100 Lastwagen mit Hilfsgütern nötig. Seit Samstag kamen insgesamt erst 37 Laster durch – nach zwei Wochen kompletter Grenzschließung.
Die Vereinten Nationen forderten eine Feuerpause, um den Menschen helfen zu können. Im Gazastreifen gibt es nach UN-Angaben kaum noch Nahrungsmittel und Trinkwasser. Tausende Kranke und Verletzte brauchen demnach medizinische Versorgung.
Israels Armee: Angriff auf Hamas-Posten in Moschee im Westjordanland
Die israelische Luftwaffe beschoss im Westjordanland nach eigenen Angaben eine Terrorzelle der Hamas in der Al-Ansar-Moschee. Dort habe sich ein unterirdischer «Terrorkomplex» der Hamas und des Islamischen Dschihad befunden, hieß es. Die Gruppe habe einen Anschlag geplant, teilte das Militär auf Telegram mit. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überpürfen. Die Moschee liegt im Flüchtlingslager Dschenin. Bei dem Angriff kamen laut palästinensischem Gesundheitsministeriums zwei Palästinenser ums Leben.
Israel räumt 14 weitere Ortschaften im Norden des Landes
Israel will angesichts der Eskalation der Angriffe durch die libanesische Hisbollah-Miliz weitere Ortschaften im Norden räumen. Verteidigungsminister Joav Galant habe die Evakuierung 14 weiterer Gemeinden gebilligt, teilte sein Büro mit. Vor einer Woche hatte Israel bereits eine Vier-Kilometer-Sperrzone im Grenzgebiet zum Libanon erklärt. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warnte die Hisbollah vor noch stärkeren Angriffen: In den Krieg einzutreten wäre «der Fehler ihres Lebens», sagte er. «Wir werden sie mit einer Härte treffen, die sie sich nicht vorstellen kann, und die Bedeutung für sie und das Land Libanon wird verheerend sein.»
Der zweite Mann an der Spitze der Hisbollah, Naim Kassim, schloss eine noch größere Beteiligung am Konflikt mit Israel nicht aus. «Wir können nichts garantieren», sagte Kassim in Beirut. Seit der Eskalation wurden mindestens 19 Kämpfer der Miliz im Libanon getötet, wie deren Pressebüro mitteilte.
In Israels nördlichem Nachbarland Syrien wurden bei einem erneuten Angriff auf die Flughäfen von Damaskus und Aleppo auch Landebahnen beschädigt. Experten gingen von mutmaßlich israelischen Raketenangriffen aus. Erst vor gut einer Woche waren die Flughäfen angegriffen worden. Israels Luftwaffe bombardiert immer wieder Ziele im benachbarten Syrien, bestätigt dies aber meist nicht.
Jordaniens König bei Kairo-Gipfel: «Es ist ein Kriegsverbrechen.»
In der ägyptischen Hauptstadt Kairo kamen bei dem «Gipfel für den Frieden» Staats- und Regierungschefs aus dem Nahen Osten sowie Vertreter der UN und westlicher Staaten zusammen. Bei dem Treffen auf Einladung Ägyptens gab es scharfe Kritik an Israels Angriffen – wie auch am Terror im Auftrag der Hamas. Das «unerbittliche Bombardement in Gaza» sei «auf jeder Ebene grausam und skrupellos», sagte Jordaniens König Abdullah II. «Es ist eine kollektive Strafe für eine belagerte und hilflose Bevölkerung. Es ist ein eklatanter Bruch des humanitären Völkerrechts. Es ist ein Kriegsverbrechen.»
Steinmeier ruft Bürger zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland auf
Bundespräsident Steinmeier sagte vor Tausenden bei der Kundgebung am Brandenburger Tor, der Schutz jüdischen Lebens sei Staatsaufgabe, «aber er ist auch Bürgerpflicht ». Angesichts antisemitischer Ausschreitungen nannte er es «unerträglich, dass Jüdinnen und Juden heute wieder Angst haben – ausgerechnet in diesem Land».
Im anhaltischen Dessau-Roßlau wurde eine neue Synagoge eingeweiht. Dort sagte Bundeskanzler Scholz: «Diese Synagoge mitten hier in Dessau sagt: Jüdisches Leben ist und bleibt ein Teil Deutschlands. Es gehört hierher.»
Quellen: Mit Material der dpa.