Erneut Waffenruhe im Gaza-Krieg gefordert

VonJudith Eichhorn

23. März 2024

Tel Aviv/Washington (dpa) – Während die Unstimmigkeiten zwischen Israel und den USA über die Vorgehensweise im Gaza-Krieg immer offener zutage treten, hat sich eine israelische Delegation erneut auf den Weg nach Doha gemacht, um über eine befristete Waffenruhe und eine Geiselfreilassung zu verhandeln.

Unter Führung des Chefs des Auslandsgeheimdiensts Mossad, David Barnea, soll sich die Abordnung in der katarischen Hauptstadt mit CIA-Direktor William Burns, Katars Ministerpräsidenten Mohammed bin Abdulrahman Al Thani und dem ägyptischen Geheimdienstminister Abbas Kamel treffen. 

Die USA, Katar und Ägypten vermitteln in den sich schon über mehrere Wochen hinziehenden indirekten Gesprächen zwischen Israel und der Hamas. Sie zielen darauf ab, dass die Islamisten während einer sechswöchigen Waffenruhe 40 israelische Geiseln freilassen. Israel soll im Gegenzug mehrere hundert palästinensische Häftlinge aus Gefängnissen entlassen.

Die Hamas fordert darüber hinaus, dass das israelische Militär die in den Süden des Gazastreifens vertriebenen Palästinenser in ihre Wohnorte in der Mitte und im Norden des Küstengebiets zurücklässt. Israel will derzeit nur Frauen und Kinder zurückkehren lassen. 

Aus Washington kamen zuletzt vorsichtig optimistische Signale. «Wir glauben, dass wir (einer Einigung) näher kommen, dass die Differenzen kleiner werden», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby. Die Art und Weise, wie die Gespräche verliefen, sei ein «gutes Zeichen». Allerdings gebe es kein Datum für einen Abschluss, den es erst geben könne, wenn über das gesamte Paket eine Einigung erzielt wird.

Tote bei Kämpfen und Angriffen im Gazastreifen

Israels Armee setzt nach eigener Darstellung ihre Angriffe auf Stellungen der Islamistenorganisation Hamas im Gazastreifen fort. Israels Luftwaffe habe am Vortag «rund 35 Terrorziele im gesamten Gazastreifen angegriffen, darunter operative Kommandozentralen, Militärposten, Infrastruktur von Terrororganisationen», teilte das Militär mit. «Dutzende Terroristen wurden am vergangenen Tag bei Bodenkämpfen und Luftangriffen im Gazastreifen eliminiert.» Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde teilte mit, binnen 24 Stunden seien 72 Palästinenser getötet und weitere 144 verletzt worden. Damit steige die Zahl der seit Beginn des Gaza-Krieges Getöteten auf 32.142 Menschen. 74.412 weitere hätten Verletzungen erlitten. Die Zahlen ließen sich zunächst nicht unabhängig verifizieren. Zahlreiche Tote und Verletzte werden noch unter Trümmern vermutet. Wegen der heftigen Kämpfe können Rettungskräfte nicht immer zu ihnen vordringen. 

Israelische Soldaten sind Armeeangaben zufolge auch weiter in der Schifa-Klinik im Einsatz. «Bislang haben die Einsatzkräfte mehr als 170 Terroristen in der Gegend des Krankenhauses eliminiert, mehr als 800 Verdächtige befragt und zahlreiche Waffen sowie Terror-Infrastruktur aufgefunden», teilte das Militär weiter mit. Die Angaben ließen sich ebenfalls zunächst nicht unabhängig prüfen.

Streit im Kriegskabinett über Verhandlungsspielraum

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sah sich indes im Kriegskabinett starkem Druck ausgesetzt, die Verhandlungsvollmachten der Delegation für Doha zu erweitern. In der Runde, in der auch der aus der Opposition kommende Ex-General Benny Gantz sitzt, sei es am Freitag «dramatisch» zugegangen, berichtete der Fernsehsender Channel 12. Der Chef des Inlandsgeheimdiensts Schin Bet, Ronen Bar, habe damit gedroht, nicht nach Doha zu fliegen, wenn die Delegation, der er angehört, nicht flexibler verhandeln dürfe. 

Auslöser des Gaza-Krieges war der Terrorüberfall der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober im Süden Israels. Die Terroristen töteten 1200 Menschen und verschleppten 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen. Israel griff das Küstengebiet an, um die Hamas zu zerschlagen. Dabei kamen nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bisher rund 32.000 Palästinenser ums Leben, wobei diese Zahl sowohl Zivilisten als auch Kämpfer enthält. Von den Geiseln, die die Hamas nach einer ersten Runde von Freilassungen im November noch in ihrer Gewalt hält, dürften nach israelischen Schätzungen noch knapp 100 am Leben sein. 

Offener Streit mit Washington über Rafah-Offensive

Der Verlauf des Krieges mit vielen zivilen Toten und massiven Zerstörungen von Wohnbauten und Infrastruktur im Gazastreifen stößt mittlerweile auf starke internationale Kritik. Selbst die USA, Israels engster Verbündeter, beanstanden offen die häufig von Israel vorgenommene Beschränkung des Zugangs für humanitäre Hilfe. Besonders ablehnend verhält sich Washington zu der von Netanjahu mehrfach angekündigten  Bodenoffensive in der südlichen Stadt Rafah, um die letzten vier Bataillone der Hamas zu zerschlagen. 

In dem Ort an der Grenze zu Ägypten halten sich derzeit 1,5 Millionen Menschen auf. Die meisten von ihnen sind aus anderen Teilen des Gazastreifens geflohen und hausen dort unter elenden Verhältnissen. «Eine größere Bodenoffensive (…) würde den Tod von noch mehr Zivilisten, noch größeres Chaos bei der Bereitstellung von humanitärer Hilfe riskieren», sagte US-Außenminister Antony Blinken bei einem Besuch in Tel Aviv. Für Israel bedeute sie auch das Risiko einer weiteren weltweiten Isolierung.

Internationale Unterstützung bröckelt

Netanjahu beteuert immer wieder, dass sein Militär Pläne für eine sichere Evakuierung der Zivilisten aus Rafah habe. «So einen glaubwürdigen Plan haben wir noch nicht gesehen», sagte US-Sicherheitsratssprecher Kirby. Anfang kommender Woche soll Israel hochrangige Delegationen nach Washington schicken, um die entsprechenden Pläne zu zeigen. Die USA möchten den Israelis Optionen aufzeigen, wie die Hamas ohne eine Bodenoffensive in Rafah zu bezwingen wäre.

Bei Blinkens Treffen mit dem israelischen Kriegskabinett prallten die divergierenden Ansichten offen aufeinander, wie das Nachrichtenportal «Axios» unter Berufung auf eine namentlich nicht genannte Quelle berichtete, die mit dem Inhalt des Gesprächs vertraut sein soll. Demnach habe Blinken Israel davor gewarnt, den Krieg ohne ersichtliche Strategie fortzuführen. Würde er weiter so verlaufen wie bisher, würde die Hamas die Kontrolle im Gazastreifen behalten oder es würde Anarchie ausbrechen, die noch mehr Terrorismus erzeugen würde. Der Quelle zufolge soll Netanjahu geantwortet haben, dass «wir auf Jahrzehnte alle Hände voll zu tun haben werden». 

UN-Abstimmung über Gaza-Waffenruhe verschoben

Eine geplante Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über eine Forderung nach einer sofortigen Gaza-Waffenruhe ist indes in letzter Minute verschoben worden. Die Beratung zur Lage im Nahen Osten soll nun am Montag stattfinden. Es war anzunehmen, dass hinter den Kulissen weiter verhandelt wurde, um einen Erfolg der Resolution im mächtigsten Gremium der Vereinten Nationen wahrscheinlicher zu machen. 

Der Entwurf der Beschlussvorlage fordert eine «von allen Seiten respektierte sofortige Waffenruhe für den Monat Ramadan». Diese solle zu einer «dauerhaften und nachhaltigen Waffenruhe» führen, hieß es in dem Text weiter. Zudem fordert der Resolutionsentwurf die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln und betont die Notwendigkeit eines Ausbaus der Hilfslieferungen für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Der islamische Fastenmonat begann bereits um den 10. März.

UN-Generalsekretär António Guterres erneuert jedoch bei seinem Besuch in Ägypten Forderungen nach einer Waffenruhe im Gaza-Krieg. «Jetzt ist es mehr denn je an der Zeit für eine sofortige humanitäre Feuerpause», sagte Guterres bei einem Besuch am Rafah-Grenzübergang. «Die Palästinenser in Gaza, Kinder, Frauen, Männer, stecken in einem nicht enden wollenden Albtraum fest. Gemeinden wurden ausgelöscht, Häuser zerstört, ganze Familien und Generationen ausgelöscht.»

Guterres forderte auch die Freilassung der Geiseln in der Gewalt der islamistischen Hamas. Dies sei im «Geist des Mitgefühls» des islamischen Fastenmonats Ramadan. Israel forderte er erneut dazu auf, dringend benötigte Hilfsgüter in den Gazastreifen passieren zu lassen. «Ich möchte, dass die Palästinenser in Gaza wissen: Ihr seid nicht allein», fügte der UN-Chef hinzu.

Quellen: Mit Material der dpa.

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