Hühnerpatenschaft und adoptierte Orangenbäume

VonC. Peters

29. September 2023

Bonn (KNA)Käse, Obst, Gemüse, Speiseöl, Wein, Kaffee, Eier – all dies und noch viel mehr bekommt man hierzulande bei jedem Discounter. Wie nachhaltig und umweltfreundlich die Produktion ist und wie fair die Zulieferer entlohnt werden, ist kaum im Blick. Auch zu Ursprung und Verarbeitung der Waren haben die wenigsten Menschen noch einen Bezug. Manche Verbraucher möchten das inzwischen ändern – und Landwirte nehmen die veränderte Nachfrage gerne an.

Ein Indiz: Hühnerpatenschaften liegen im Trend. Vielerorts bieten Hühnerhalter diese inzwischen an. Für einen festen Betrag gibt’s ein Abo für frische Freilandeier, etwa bei Florian Meier im oberbayerischen Aschheim. Bei ihm können Kunden jeweils für zwölf Monate wöchentlich 6, 10 oder 20 Eier bestellen. Im Abo enthalten: Patenschaftsurkunde, umweltfreundliche Mehrwegverpackung und Coupons für die wöchentliche Abholung im Hofladen.

Rund 50 Tiere

Derzeit hat er rund 50 Tiere, die für die Produktion sorgen. Der Vorteil für ihn: „Ich muss die Eier nicht irgendwie vermarkten, sondern habe eine Abnahmegarantie“. Er kann auch die Eiergröße abgeben, die gerade von den Hühnern geliefert werde – je nach Alter der Tiere. Darunter sind auch mal kleinere Eier von jüngeren Hühnern; deshalb sei der Abopreis günstiger als beim regulären Einkauf, rechnet Meier vor.

Zudem kann er so die Kosten für seine mobile Stallhaltung decken, „und die Kunden wissen, dass die Hühner gut gehalten werden“. Manche Paten, berichtet Meier, kämen jede Woche am Stall vorbei, um nach den Tieren zu sehen. „Das ist für die Leute ein gutes Gefühl.“

Ziegen „adoptieren“

Beim Ziegenhof der Familie Holtmann im rheinland-pfälzischen Grillenfeld können Käseliebhaber Susi, Maxima, Smilla oder eine andere der rund 200 Ziegendamen des Betriebs „adoptieren“. Im Gegenzug bekommen sie verschiedene Käsespezialitäten. Die Produktion werde nach der Zahl der Adoptionen ausgerichtet, erklärt Hofmitarbeiterin Martina Regnier. Gerade bei einem solchen Nischenprodukt sei es gut zu wissen, dass diese Menge definitiv verkauft werde.

Der „Vulkanhof“ ist einer von rund 245 Betrieben in 15 Ländern Europas, der sich 2020 der Initiative CrowdFarming – frei übersetzt „Schwarm-Landwirtschaft“ – angeschlossen hat. Das Konzept: Endverbraucher kaufen Produkte direkt vom Erzeuger. „Für uns als kleiner Familienbetrieb ist das super, denn die ganze Logistik übernimmt CrowdFarming – wir liefern bis Norwegen“, sagt Regnier. Immer mehr Menschen legen nach ihrer Beobachtung Wert auf nachhaltige Lebensmittel. „Sie wollen Naturprodukte genießen, die ohne Zusatzstoffe hergestellt sind.“

CrowdFarming gibt es seit 2017. Gegründet wurde die Initiative von zwei gefrusteten jungen Orangenbauern: Die spanischen Brüder Gabriel und Gonzalo Urculo wollten für ihre ins Ausland exportierten Früchte bessere Preise erzielen als über den Großhandel. Deshalb begannen sie, direkt an Verbraucher zu verkaufen.

Inzwischen sind 130 Lebensmittel im Angebot, besonders beliebt Zitrus- und tropische Früchte sowie Olivenöl. Selbst aus Spanien soll durch Staffeltransporte binnen sechs Tagen frische Ware beim Endverbraucher ankommen. Laut Jahresbericht gingen allein im vergangenen Jahr 1,5 Millionen Sendungen mit Orangen, Spargel oder Honig in 30 europäische Länder.

Halbe Million adoptierte Bäume

Ein Erfolgsrezept: die „Adoption“ von Bäumen, Äckern, Tieren oder Bienenstöcken – mit anschließender Belieferung vom eigenen Baum, Boden oder Tier. Allein 2022 gab es dem Bericht zufolge 267.619 solcher Adoptionen, 40 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor. Inzwischen sind weit über eine halbe Million adoptierte Bäume registriert, zudem Salzgärten, Kichererbsen- und Spargeläcker oder Heidelbeersträucher.

Solche Adoptionen samt Produkt von der eigenen Pflanze oder Tier werden auch gerne verschenkt – bislang mehr als 10.000, wie CrowdFarming auf KNA-Anfrage mitteilt. Die Initiative spricht von einer sinnvollen Geste, „die den Gedanken widerspiegelt, eine ganz besondere Erfahrung mit geliebten Menschen zu teilen“.

Größere Wertschätzung

CrowdFarming setzt auf eine andere Haltung und größere Wertschätzung von Lebensmitteln. „Die Landwirte produzieren in dem Wissen, dass jemand auf ihre Ernte wartet, und die CrowdFarmer genießen ein Produkt, von dem sie wissen, woher es kommt, von wem, wie und wann es produziert wurde“, wirbt die Initiative. Kunden schätzen demnach die direkte Verbindung zu den Erzeugern und die fairen Preise. Weiterer Pluspunkt: weniger Lebensmittelverschwendung.

Letztere betrifft auch Fleisch von Tieren aus industrieller Großproduktion. Verbrauchern bleibt zunehmend der Bissen im Hals stecken, wenn sie von Missständen in Mastbetrieben, bei Tiertransporten oder in Schlachthöfen hören. Inzwischen sind auch deshalb rund um das Fleisch neue, nachhaltigere Vermarktungsformen entstanden.

Initiative „Kaufnekuh“

Seit 2015 gibt es beispielsweise die Initiative „Kaufnekuh“. Rund 90.000 Kunden aus ganz Deutschland beziehen darüber laut Sprecherin Dorit Sonnert ihr Fleisch aus artgerechter Weidehaltung, inzwischen auch von Schweinen und Hühnern. Dahinter steht die Idee des „Crowdbutching“: Geschlachtet wird ein Tier erst, wenn alle seine Teile – von der Schnauze bis zum Schwanz – online Abnehmer gefunden haben. Wenn das Tier auf der Webseite auf 100 Prozent steht, wird es in kleinen, bio-zertifizierten Betrieben in der Nähe der Höfe geschlachtet. Die teilnehmenden Bauern melden ihre Kühe zuvor bei „Kaufnekuh“ an; über die Ohrnummer kann der Käufer zurückverfolgen, woher das Tier kommt und wie es gehalten wurde.

„Verbraucher wollen wissen, wo das Fleisch herkommt und ob das Tier ein gutes Leben hatte“, berichtet Sonnert. Die teilnehmenden Betriebe werden auf der Homepage von „Kaufnekuh“ vorgestellt. Beim Messkirchener Landwirt Jürgen Deufel etwa dürfen Kühe sonntags ein Bad im nahegelegenen Bach nehmen. Gerhard und Jana Paul legen auf ihrem Biohof im bayerischen Absberg Wert darauf, dass ihre Kälber zehn Monate bei den Muttertieren bleiben können, Ferkel acht Wochen.

In einer Zeit, wo die Fleischindustrie von vielen Skandalen betroffen sei, zählen für die Kunden aus der Erfahrung von Sonnert Wertschätzung und Transparenz. Zur Transparenz gehört bei „Kaufnekuh“ auch, die Kunden per E-Mail zu informieren, wenn das Tier zum Schlachten abgeholt wird.

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