Berlin (dpa) – Autokolonnen, Parken in zweiter Reihe und riskante Wendemanöver gehören vor Schulen oft zum morgendlichen Alltag. Etwa jedes fünfte Kind wird einer ADAC-Umfrage zufolge morgens mit dem Auto vor der Schule abgesetzt. «Das mag aus Sicht der Eltern nachvollziehbar scheinen, aber es birgt durch dieses Chaos vor der Schule ein gewisses Sicherheitsrisiko», sagt ADAC-Sprecher Andreas Hölzel. Die sogenannten Elterntaxis sind seit Jahren ein umstrittenes Thema: sie seien gefährlich, umweltschädlich, und nähmen Kindern ihre Selbstständigkeit, lautet oft die Kritik.
«Das Gefahrenpotential hängt stark von den Gegebenheiten vor Ort ab», sagt Heiner Sothmann von der Deutschen Verkehrswacht. «Die Ursache ist aber meistens ein Platzproblem, denn es wollen einfach viele Autos zur selben Zeit an einem Ort sein. Befindet sich die Schule nun an einer besonders engen Straße oder in einer Gegend mit hohem Verkehrsaufkommen, kommt es unweigerlich zu Konflikten.»
Hinzu käme der Zeitdruck, da der Nachwuchs pünktlich im Klassenzimmer sitzen muss und die Eltern gegebenenfalls selbst noch zur Arbeit müssen. «Angespannte Nerven, Ungeduld, Stress und Hektik führen aber leider oft zu Unachtsamkeit und aggressivem Verhalten», sagt Sothmann.
Unfallstatistik
Die Verkehrswacht und der ADAC appellieren daher an die Eltern, die eigenen Kinder früh an den Straßenverkehr heranzuführen und den Schulweg selbstständig absolvieren zu lassen. «Es ist ja auch im Sinne der Schüler, wenn sie frühzeitig selbstständige Teilnehmer am Straßenverkehr werden», sagt Hölzel. «Je früher sie das lernen, desto sicherer bewegen sich Kinder und später auch als Erwachsene im Straßenverkehr.»
Wie sensibel die Tageszeiten vor Schulbeginn und nach Schulende in der Unfallstatistik sind, zeigen veröffentlichte Zahlen zu verunglückten Kindern im Straßenverkehr. Rund 25.800 Kinder sind laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2022 in Deutschland im Straßenverkehr verunglückt, das sind 16 Prozent mehr als im Vorjahr, allerdings acht Prozent weniger als im Vergleich zu 2019, dem Jahr vor der Pandemie. 51 Kinder kamen im vergangenen Jahr bei Unfällen ums Leben. Im Schnitt wurde 2022 alle 20 Minuten ein Kind bei einem Verkehrsunfall verletzt oder getötet, so die Behörde.
Zu den meisten Unfällen der 6- bis 14-Jährigen kam es montags bis freitags in der Zeit zwischen sieben und acht Uhr – also wenn Kinder üblicherweise auf dem Weg zur Schule sind. Den zweithöchsten Wert erreichten die Unfallzahlen in der Zeit von 15.00 bis 16.00 Uhr. 36 Prozent der Kinder, die 2022 im Straßenverkehr verunglückten, waren mit dem Fahrrad unterwegs. 34 Prozent saßen in einem Auto und 22 Prozent gingen zu Fuß, als der Unfall passierte.
Stadt und Land
Der Rat des ADAC, die Kinder möglichst früh auf den Straßenverkehr vorzubereiten, hat trotz dieser Zahlen einen entscheidenden Haken: Nicht überall ist es für Familien gleichermaßen leicht, auf das Elterntaxi zu verzichten. «Wir müssen dabei ganz klar trennen zwischen Stadt und Land», sagt die Vorsitzende des Bundeselternrats, Christiane Gotte, der Deutschen Presse-Agentur. In den Städten, wo der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) stark ausgebaut und die meisten Familien gut angebunden sind, sei die Schülerbeförderung meist kein Problem. «An dieser Stelle muss man die Eltern einfach noch mehr sensibilisieren im Sinne des Umweltschutzes und der vorhandenen Infrastruktur», so Gotte.
In ländlichen Regionen sehe die Lage aber völlig anders aus. Die nächste Bushaltestelle sei nicht immer gut zu erreichen, der ÖPNV oft erst ab einer bestimmten Entfernung zwischen Schule und Zuhause kostenfrei. «Das Elterntaxi ist dann natürlich die kostengünstigste und bequemste Variante», sagt Gotte. «Die Eltern fahren gerade in schlecht angebundenen Kreisen sowieso mit dem Auto auf die Arbeit, da die Nutzung des ÖPNV die Fahrtzeit meist mehr als verdoppeln würde.» Das Kind auf dem Weg dahin noch kurz an der Schule abzusetzen, verstehe sich dann von selbst.
Mit einer Petition fordert der Bundeselternrat vom Bund, dass Schülerinnen und Schüler in ganz Deutschland kostenlos den ÖPNV nutzen können. Denn zwischen den Bundesländern gebe es große Unterschiede bezüglich der Schülerbeförderung und einer entsprechenden Kostenübernahme. Für viele Familien gebe es keinen finanziellen Anreiz, das Kind mit dem ÖPNV zur Schule zu schicken.
Doch auch die Situation in den Bussen selbst schrecke viele Eltern ab. «Die Schulbusse sind heillos überfüllt. Es gibt Schüler, die keine Sitzplätze mehr finden, auch über längere Strecken von 20 bis 30 Minuten», erklärt Gotte. Durch diesen Stress seien auch mobbingähnliche Übergriffe in den Bussen nicht selten. «Da gibt es Eltern, die sagen, sie wollen ihre Kinder schützen und bringen sie deswegen mit dem Auto.»
Was vor den Schulen los ist
Einer kürzlich veröffentlichten ADAC-Umfrage zufolge finden 59 Prozent der befragten Eltern, dass gefährliche Verkehrssituationen entstehen, wenn zu viele Autos vor Schulen halten. Selbst 41 Prozent der Eltern, die ihren Nachwuchs regelmäßig zur Schule fahren, sehen das demnach so. In den warmen Monaten werden 17 Prozent der Kinder hauptsächlich mit dem Auto zum Unterricht gebracht, im Herbst und Winter 22 Prozent.
«Nicht immer ist das Elterntaxi vermeidbar», sagt auch DVW-Sprecher Sothmann. Das Chaos vor dem Schultor könne man aber umgehen. «Wer sein Kind unbedingt mit dem Auto zur Schule bringen muss, kann es trotzdem in einiger Entfernung an einer sicheren Stelle aussteigen und den restlichen Weg allein zurücklegen lassen.» Auch der ADAC empfiehlt in dem Zusammenhang sogenannte Hol- und Bringzonen.
Wichtig sei, dass man mit den Kindern im Vorfeld den Schulweg intensiv trainiere, sagt Sothmann. «Dann sehen die Eltern auch schnell, was der Nachwuchs schon drauf hat.» In einigen Bundesländern bleibt Eltern dafür vor dem Schulstart noch etwas Zeit.
Quellen: Mit Material der dpa.