Weinheim (KNA)Vorbeugende Angebote für den Umgang mit psychischen Krisen müssten nach Worten des Psychotherapeuten Enno Maaß dringend ausgebaut werden. Dazu zählten etwa Trainings für Stressbewältigung, sagte Maaß der Zeitschrift „Psychologie Heute“ (Oktober-Ausgabe). Es gehe um Prävention für Menschen, die bereits Symptome hätten, die aber noch nicht behandlungsbedürftig seien.
Wichtig sei, möglichst rasch festzustellen, wie es jemandem wirklich gehe. „Wenn eine Person zum Beispiel ihren Alltag gut bewältigt, emotional kompetent ist und ein sicheres soziales Netz hat, kann sie erkrankt sein, aber unter Umständen erst mal keine äußere Hilfe benötigen“, sagte der Mediziner. Zugleich gebe es relativ viele Menschen, die mit Erkrankungen spät oder sogar zu spät in Behandlung kämen.
„Belastungen an sich begründen keine seelische Störung“
Auch der Psychotherapeut Matthias Liebner mahnte zu Differenzierung. „Normative Krisen, Kränkungserleben und Trennungen sind ja oft der Auslöser, dass Patienten eine Psychotherapie nachfragen.“ Zu klären sei dann, ob Selbstzweifel und Zukunftsängste eine normale Reaktion seien – oder ob sie sich „auf dem Boden schon länger schwelender psychischer Konflikte“ abspielten. Liebner: „Es gibt eine gewachsene Sensibilität für seelische Störungen, aber auch eine gesunkene Bereitschaft, sich mit Unvollkommenheiten abzufinden.“
So seien in der Corona-Zeit die Belastungen gestiegen, „aber Belastungen an sich begründen ja nicht eine seelische Störung“. Einerseits würden heute mehr Diagnosen gestellt als noch vor einigen Jahren, andererseits wachse die Bereitschaft, „Befindlichkeitsstörungen in Krankheiten umzucodieren, die dann als behandlungsbedürftig eingestuft werden. Das bedeutet auch eine Pathologisierung: Normale psychische Reaktionen sind plötzlich eine seelische Störung von Krankheitswert“, kritisierte Liebner.
Das sind die Forderungen
Konkret forderten die Experten einen Ausbau von Gruppentherapie, die inzwischen als genauso wirksam gelte wie Einzeltherapie. Auch brauche es „flexiblere, längerfristigere Behandlungsmöglichkeiten für chronisch psychisch Erkrankte“, erklärte Maaß.
Über die Wartezeiten auf Therapieplätze wird seit Monaten debattiert. Die Bundestherapeutenkammer fordert 1.600 zusätzliche Kassensitze. Im Frühjahr hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit der Aussage für Empörung gesorgt, dann drohten „leichte Fälle über längere Zeit“ behandelt zu werden.