Experten sehen wachsende Spaltung der Gesellschaft

VonC. Peters

2. November 2023

Düsseldorf (KNA)Die Kluft zwischen Arm und Reich könnte einer Analyse zufolge während der Corona-Jahre bundesweit erneut größer geworden sein. Vieles deute darauf hin, dass die vergangenen Krisen die soziale Spaltung in Deutschland vertieft hätten, heißt es in dem am Donnerstag in Düsseldorf veröffentlichten Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. „Der hohe Anteil von armen Menschen in diesem Land ist besorgniserregend und eine Gefahr für den sozialen Zusammenhalt“, sagte die Direktorin des Instituts, Bettina Kohlrausch, bei der Präsentation.

Den Angaben zufolge stieg seit 2010 der Anteil armer Haushalte von 14,5 Prozent auf 16,7 Prozent im vergangenen Jahr. In den 1990er Jahren lag der Wert noch bei rund 11 Prozent. Der Anteil der reichen Haushalte schwanke in den vergangenen Jahren um 8 Prozent. Überdurchschnittlich oft von Armut betroffen seien Arbeitslose, Minijobber, Ostdeutsche, Frauen, Alleinerziehende, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, Singles und Personen mit Hauptschulabschluss.

Gefühl geringer gesellschaftlicher Anerkennung

Als arm definieren die Autoren Haushalte, deren Nettoeinkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland beträgt. Für einen Singlehaushalt entspricht das derzeit maximal 1.200 Euro im Monat. Als reich gelten Menschen, die mehr als das Doppelte dieses Betrags zur Verfügung haben.

Mit Armut geht laut dem Bericht bei vielen Betroffenen ein Gefühl geringer gesellschaftlicher Anerkennung einher. Dies führe wiederum zu einer Distanz zu staatlichen und politischen Institutionen. Mehr als die Hälfte der Armen habe nur wenig Vertrauen in Parteien und Politiker. Rund ein Drittel vertraue dem Rechtssystem allenfalls in geringem Maße. „Ein geringes Institutionenvertrauen macht Menschen anfälliger für rechtspopulistische Einstellungen“, warnte Kohlrausch.

Steigerung der Energiepreise

Die Autoren des Berichts heben hervor, dass der Anteil der Armen in der Corona-Krise zwar weiter gestiegen, von 2021 auf 2022 aber geringfügig gesunken sei – von 16,9 auf 16,7 Prozent. Dies könne im Zusammenhang mit den Entlastungsmaßnahmen stehen, die die Bundesregierung nach Beginn des Ukraine-Kriegs und der Steigerung der Energiepreise beschlossen habe. Sie hätten Haushalte mit niedrigem Einkommen nachweislich entlastet, allerdings an den strukturellen Ursachen der Ungleichheit nichts geändert.

Um Armut zu bekämpfen, schlagen die Autoren vor, die Grundsicherung zu erhöhen. Zudem müssten der Mindestlohn stärker als geplant angehoben und die Tarifbindung gestärkt werden. Gefordert wird auch, Reiche und Superreiche stärker an der Finanzierung des Gemeinwohls zu beteiligen – etwa durch eine Anhebung des Spitzensteuersatzes sowie durch höhere Vermögens- und Erbschaftssteuern für diese Gruppen.

Für den Bericht wurden den Angaben zufolge die neuesten verfügbaren Daten aus zwei repräsentativen Befragungen genutzt: dem sozio-ökonomischen Panel und dem Mikrozensus, die Erkenntnisse für das Jahr 2022 liefern. Allerdings sind die Daten für 2020 bis 2022 noch vorläufig.

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