Die Wurzeln der Gewalt im Nahen Osten

VonC. Peters

10. Oktober 2023

Jerusalem (KNA)Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist zum Krieg eskaliert. Nach dem brutalen Überfall aus dem Gazastreifen laufen nun militärische Gegenmaßnahmen Israels. Radikale Kräfte auf beiden Seiten haben Oberwasser. Wo liegen die Gründe für die Gewalt? Fünf Fragen und Antworten.

Welche Vorläufer hat die derzeitige Eskalation im Nahost-Konflikt?

Schon seit der Staatsgründung Israels 1948 gibt es militärische Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern sowie benachbarten Staaten. Beispiele sind der Unabhängigkeitskrieg (1948), der Sechstagekrieg (1967) und der Jom-Kippur-Krieg (1973), zwei Libanonkriege sowie zwei mehrjährige palästinensische Volksaufstände („Intifadas“, 1987-1993; 2000-2005).

Nach der Machtübernahme der Hamas im palästinensischen Gazastreifen 2007 gab es mehrere militärische Konflikte. Die islamistische Widerstandsbewegung wird von Deutschland, der EU und weiteren Staaten als Terrororganisation angesehen. Immer wieder gibt es auch in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten und in Ostjerusalem Spannungen und Gewalt. Laut UN-Angaben starben zwischen 2008 und 2020 insgesamt 251 Israelis und 5.733 Palästinenser in dem Konflikt.

Worin liegt der israelisch-palästinensische Konflikt begründet?

Die Hauptwurzel des Konflikts ist die Staatsgründung Israels 1948. Der Streit dreht sich um Land und territoriale Autonomie, das Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge sowie den Status Jerusalems. Die Ursprünge reichen zurück zum Niedergang des Osmanischen Reichs und in die britische Mandatszeit. Die Briten sicherten den Juden in der Balfour-Erklärung von 1917 eine „nationale Heimstätte“ in Palästina zu, das nach dem Ersten Weltkrieg unter britische Verwaltung kam. Gleichzeitig versprachen sie den Arabern in der Husain-McMahon-Korrespondenz 1915/16 Unterstützung im Streben nach Unabhängigkeit.

Im November 1947 forderten die Vereinten Nationen mit der Resolution 181 die Schaffung je eines eigenständigen jüdischen und arabischen Staates; Jerusalem sollte unter internationale Kontrolle gestellt werden. Nach dem Rückzug der Briten verlas David Ben Gurion am 14. Mai 1948 die israelische Unabhängigkeitserklärung. Darauf erklärten mehrere arabische Länder Israel den Krieg.

Welche Rolle spielen die Religionen?

Der im Kern politische Konflikt ist religiös aufgeladen. Auf jüdischer Seite beanspruchen vor allem nationalreligiöse Hardliner das gesamte Gebiet zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan als von Gott geschenktes Land. Die meisten Palästinenser folgen dem Islam, in dem es traditionell kaum eine Trennung von Religion und Politik gibt. Die Minderheit der Christen – mehrheitlich Palästinenser – spielt so gut wie keine Rolle in dem gewaltsamen Konflikt. Insgesamt hat sich der Einfluss islamistischer Kräfte und jüdischer Extremisten in den vergangenen Jahren verstärkt.

Verbunden mit dem international ungeklärten völkerrechtlichen Status Jerusalems ist der Streit um die Souveränität über den Tempelberg, arabisch Haram al-Scharif (Edles Heiligtum). Der Ort, an dem früher der jüdische Tempel stand und der zugleich die drittheiligste Stätte des Islam ist, hat auch politisch hohen Symbolwert. Immer wieder entzündeten sich hier gewalttätige Proteste von Palästinensern.

Welche Rolle spielt die Minderheit der arabischen Israelis?

Im Unabhängigkeitskrieg 1948 mussten viele arabische Bewohner der Region fliehen oder wurden vertrieben. Ein Teil von ihnen blieb im neugegründeten Israel. Sie wurden Staatsbürger und stellen heute ein Fünftel der israelischen Bevölkerung. Fast alle sind Muslime; rund 2 Prozent sind Christen, rund 1,6 Prozent Drusen. Ihre Minderheitenrolle und der palästinensisch-israelische Konflikt verstärken bei vielen arabischen Israelis das Gefühl einer doppelten Identität: Politisch und rechtlich Bürger Israels, fühlen sie sich kulturell und national als Palästinenser.

Dem Gesetz nach sind arabische Israelis gleichberechtigt. Viele sehen sich jedoch als Bürger zweiter Klasse. Sie fühlen sich unter anderem alleingelassen im Kampf gegen Bandenkriminalität in arabischen Städten. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu machte in Wahlkämpfen wiederholt Stimmung gegen arabische Wähler. Als besonders diskriminierend empfinden viele arabische Israelis das sogenannte Nationalitätengesetz, das Israel als jüdischen Nationalstaat definiert und das Recht auf nationale Selbstbestimmung auf jüdische Israelis beschränkt. Besonders die junge Generation äußert Unzufriedenheit und will die gefühlten Diskriminierungen nicht länger hinnehmen.

Wie könnte eine dauerhafte Lösung des Konflikts aussehen?

Der Friedensprozess war schon vor Kriegsbeginn längere Zeit festgefahren. Während international, im Vatikan sowie in der palästinensischen Führung zumindest offiziell an einer Zwei-Staaten-Lösung mit der Errichtung eines souveränen palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 festgehalten wird, lehnt Ministerpräsident Netanjahu entgegen allem internationalen Druck die Schaffung eines Palästinenserstaates ab.

Zusätzlich erschwert wird eine solche Möglichkeit durch den von Netanjahu vorangetriebene Siedlungsbau in den besetzten Gebieten. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump stärkte Israels Hardliner durch die Anerkennung der besetzten Golan-Höhen als israelisches Territorium und die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem.

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