Das kann ein Gespräch in schweren Krisen leisten

VonC. Peters

2. Oktober 2023

Tübingen (KNA)Lisa Federle (62), deutsche Medizinerin und Buchautorin, wirbt für mehr direkte Kommunikation. In der heutigen schnelllebigen Zeit gingen viele Zwischentöne unter, sagte sie. „Dabei bräuchten wir genau davon mehr, um uns gegenseitig besser zu verstehen.“

Federles Buch „Vom Glück des Zuhörens“ ist soeben erschienen. Die Autorin rät dazu, das Zuhören aktiv zu trainieren. Davon profitierten beide Seiten: „Wenn ich jemandem intensiv zuhöre und mich in die Situation dieser Person hineinversetze, hilft das einerseits meinem Gegenüber. Menschen spüren, wenn man wirklich Anteil nimmt und sich Gedanken um sie macht. Andererseits lerne ich etwas für mein eigenes Leben, übe mich in Toleranz.“

Empathiemangel bemerkbar

In der Gesellschaft zeigten sich allmählich die Auswirkungen, die es habe, wenn Menschen einander zu wenig zuhörten, mahnte die Ärztin: „Wer nicht zuhört, dem fällt es schwerer, sich in andere hineinzuversetzen. Irgendwann sieht man nur noch sich selbst.“

Hinzu komme eine hohe emotionale Belastung durch die zahlreichen Krisen. „Natürlich kann nicht jeder alle Probleme bewältigen“, sagte Federle. Allerdings stelle sich inzwischen viel schneller das Gefühl einer großen Krise ein. „Jede und jeder Einzelne muss auch selbst schauen, wie man mit schwierigen Situationen umgeht.“ Mitunter helfe schon ein gutes Gespräch mit einer vertrauten Person.

Lebensentwürfe unterschiedlich

Mehr Toleranz forderte die Expertin zudem für unterschiedliche Lebensentwürfe. So beschnitten Menschen ihr eigenes Leben, indem sie sich „ständig vermeintliche Grenzen“ vor Augen hielten, etwa was das Alter angehe, in dem man einen Partner oder eine Partnerin gefunden haben sollte. „Wir werden älter und bleiben länger gesund als in früheren Zeiten. Dadurch haben sich die Grenzen verschoben, wann man jemanden kennenlernen und glücklich werden kann.“

Auch gebe es Situationen, die man von außen kaum beurteilen könne, sagte Federle. „Ein Beispiel: Ich habe einen Patienten, dessen Frau dement geworden ist. Er liebt sie und kümmert sich rührend um sie, obwohl er kaum noch mit ihr kommunizieren kann. Diese Kraft findet er nur, weil er auch eine Geliebte hat, mit der er Momente der Nähe und Freude teilt. Jemanden in dieser Lage zu verurteilen, ist mindestens voreilig.“

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