Claudia Roth will keinen „Kulturboykott gegen alles Russische“

VonC. Peters

18. Oktober 2023

Frankfurt (KNA)Der russisch-schweizerische Schriftsteller Michail Schischkin befürchtet angesichts der Eskalation in Nahost, dass das Phänomen des Krieges auch in Europa immer spürbarer wird. Vor einem Jahr sei die Lage angesichts des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine bereits schlimm gewesen, sagte er am Mittwoch bei der Buchmesse in Frankfurt. Nach dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel habe er nun aber das Gefühl, das dies „nur der Anfang“ größerer kriegerischer Auseinandersetzungen sei, so der in Moskau geborene und seit 1995 in der Schweiz lebende Autor.

Während der Ukraine-Krieg für viele Menschen ein weit entfernter, lokaler Konflikt sei, sei nun „der Krieg da – überall“, sagte Schischkin. Mit Blick auf mitunter gewaltsame pro-palästinensische Demonstrationen in Europa und den Brandanschlag auf eine Synagoge in Berlin sagte Schischkin: „Der Krieg ist hier, nicht im Fernsehen, sondern auf der Straße.“

„Israel ist überhaupt kein sicherer Ort für Juden“

Der im israelischen Haifa geborene und in Berlin lebende Schriftsteller Tomer Dotan-Dreyfus sieht Israel seit dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober nicht mehr als sicheren Fluchtort für Juden an. „Israel ist jetzt weniger eine Möglichkeit für mich und für viele“, sagte Dotan-Dreyfus bei der Buchmesse. Vor dem Großangriff der Hamas habe man „im schlimmsten Fall“ sagen können, man packe seine Sachen und gehe „weg nach Israel“, so der Lyriker. „Das kann man jetzt nicht mehr sagen.“ Inzwischen sei klar geworden, „dass Israel überhaupt kein sicherer Ort für Juden ist“, sagte der Autor. Wenn es in Deutschland Antisemitismus gebe, „müssen wir das hier lösen“.

Der israelisch-deutsche Historiker und Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, sagte, er fühle sich in Deutschland sicher. Mit Blick auf die Ereignisse in Israel wolle er nicht behaupten, in Deutschland in einer „bedrohten Position“ zu sein. Dagegen seien Menschen in Israel „wirklich in Gefahr“. Die Hamas habe Menschen „einfach abgeschlachtet“. Dieses „absolute Böse“ müsse ohne Wenn und Aber verurteilt werden, forderte Mendel.

„Russische Sprache ist nicht das Eigentum von Putin“

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) sprach mit Blick auf das Massaker der Hamas in Israel von „entgrenzter Gewalt und Barbarei“. Roth betonte bei der Buchmesse: „Da kann es kein ‚Aber‘ geben.“ Wenn diese Barbarei auf den Straßen gefeiert werde, sei das nicht zu akzeptieren.

Angesichts des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine sprach sich Roth gegen einen Boykott russischer Kultur aus. „Die russische Sprache ist nicht das Eigentum von Putin“, betonte sie. Es gebe „das andere Russland“ in Gestalt von Menschenrechtlern, Autoren, Dissidenten, der jungen Generation sowie Angehörigen der LGBTQ-Bewegung und der Umweltbewegung, die massiv verfolgt würden. Ein Kulturboykott würde „genau diese kritischen Stimmen gegen Putin treffen“, warnte Roth.

Die russische Friedensnobelpreisträgerin Irina Scherbakowa sagte, sie sehe für Russland derzeit „keine andere Chance, als dass es den Krieg gegen die Ukraine verliert“. Die Mitgründerin der Menschenrechtsorganisation Memorial fügte hinzu: „Wenn das nicht geschieht, sehe ich schwarz.“

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