Bericht: In Behörden gibt es oft Fälle von Antiziganismus

VonC. Peters

18. September 2023

Berlin (KNA)Die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA)hat im vergangenen Jahr 621 antiziganistische Vorfälle erfasst. Das geht aus dem ersten Jahresbericht der MIA hervor, der am Montag in Berlin vorgestellt wurde. Mehr als die Hälfte der Vorfälle beziehen sich den Angaben zufolge auf Diskriminierung im Alltag. Auch ein Fall extremer Gewalt mit dem Einsatz einer Druckluftwaffe, 17 körperliche Angriffe, elf Bedrohungen und vier Sachbeschädigungen sind im Bericht verzeichnet.

MIA definiert als Antiziganismus unter anderem „die gesellschaftlich tradierte Wahrnehmung von und den Umgang mit Menschen oder sozialen Gruppen, die als ‚Zigeuner‘ konstruiert, stigmatisiert und verfolgt wurden und werden“. Sinti und Roma seien dabei die zahlenmäßig am stärksten betroffene Gruppe. Antiziganismus sei heute vorwiegend rassistisch begründet.

Viele Diskriminierungen durch Behörden

Da es der erste Bericht dieser Art sei, fehle es noch an Vergleichsdaten, erklärte Guillermo Ruiz Torres, Leiter der MIA. Zudem sei davon auszugehen, dass es eine erheblich größere Zahl von nicht gemeldeten Fällen gebe. Antiziganismus sei für viele Betroffene alltäglich. Torres appellierte an die Medien, für antiziganistische Stereotype in der Sprache und Berichterstattung sensibel zu sein. Der Deutsche Presserat solle entsprechende Verstöße sanktionieren.

Im Bericht heißt es, dass etwa jeder zweite verzeichnete Fall von Diskriminierung im Zusammenhang mit Behörden erfahren worden sei. Besonders gravierende Vorfälle fänden sich bei Polizei, Jugendamt, Jobcenter sowie bei kommunalen Verwaltungen, die für die Unterbringung von Geflüchteten zuständig sind. In jedem siebten verzeichneten Fall seien geflüchtete ukrainische Roma betroffen. „Der Rassismus auf den Straßen ist schlimm, der Rassismus auf Behördengängen ist nicht akzeptabel“, sagte der Bundesbeauftragte gegen Antiziganismus, Mehmet Daimagüler.

Betroffene haben kaum Vertrauen in staatliche Stellen

Es sei wichtig, dass antiziganistische Vorfälle auch außerhalb von Polizeistrukturen erfasst würden, sagte Daimagüler. „Zur Wahrheit gehört eben auch, dass Antiziganismus nicht nur auf den Straßen, sondern auch in Behörden trauriger Alltag ist.“ Betroffene hätten daher wenig oder kein Vertrauen in staatliche Stellen; sie zweifelten oft daran, mit Hilfe von Polizei und Justiz Gerechtigkeit zu erfahren.

Um Antiziganismus vorzubeugen, sei eine Ausweitung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vom privaten auf den behördlichen Bereich erforderlich, verlangte Daimagüler. Beratungs-, Schulungs- und Hilfsangebote sollten ausreichend finanziert und mit den Selbstorganisationen von Sinti und Roma ausgebaut werden.

Gefahren aus zunehmendem Nationalismus

Der Bericht von MIA zeige die Gefahren des zunehmenden Nationalismus und Rechtsextremismus auf, der auch wieder mit Aggression und Gewalt gegen Sinti und Roma, Juden und andere Minderheiten auftrete, erklärte der Vorsitzende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose. „Die in unserer Verfassung garantierte gleichberechtigte Teilhabe kann nur dann eingelöst werden, wenn vor dem Hintergrund unserer Geschichte der jahrhundertealte Antiziganismus genauso geächtet wird wie der Antisemitismus“, so Rose.

Die MIA wurde 2021 nach einem Bundestagsbeschluss errichtet und wird vom Bundesfamilienministerium gefördert. Ihr Auftrag ist es, systematisch Fälle von Antiziganismus zu erfassen – unter und über der Strafbarkeitsgrenze. Dazu wurden fünf regionale Meldestellen sowie die Möglichkeit eingerichtet, Vorfälle per Telefon, E-Mail oder über ein Formular online zu melden.

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