Washington (dpa) – In der Verfassung der USA ist geregelt, wer Präsident werden kann. Die Person muss gebürtiger Staatsbürger sein, mindestens 35 Jahre alt und für mindestens 14 Jahre in den USA gelebt haben. So weit, so eindeutig. Doch dann gibt es da noch das sogenannte Aufstandsverbot im 14. Verfassungszusatz. Es besagt sinngemäß, dass niemand ein höheres Amt im Staat bekleiden darf, der sich zuvor als Amtsträger an einem Aufstand gegen den Staat beteiligt hat.
Vorhang auf: Donald Trump. Der 77-Jährige will nach der Präsidentenwahl im November wieder ins Weiße Haus. Doch Gegner des Republikaners argumentieren, er habe mit seinem Verhalten rund um den Sturm auf das Kapitol sein Recht verspielt, noch einmal Präsident zu werden. Mit entsprechenden Anstrengungen hatten sie Erfolg – etwa im Bundesstaat Colorado. Nun ist das Oberste Gericht des Landes am Zug.
Endgültige Entscheidung erst in einigen Wochen
Die neun Richterinnen und Richter in Washington hörten sich die Argumente beider Seiten an. Bei der Anhörung nahm das Gericht die Anwälte ins Kreuzverhör – eine Niederlage für Trump deutete sich zunächst nicht an. Die Fragen der Richter geben immer einen Einblick in ihre Gedankenwelt. Doch die endgültige Entscheidung dürfte erst in einigen Wochen fallen.
Im Dezember hatte das höchste Gericht in Colorado in einem explosiven Urteil entschieden, dass Ex-Präsident Trump sich für die Vorwahl der Republikaner für die Präsidentschaftskandidatur in dem Bundesstaat disqualifiziert habe. Trump legte Berufung ein. Das Urteil ist so lange ausgesetzt, bis die Frage endgültig geklärt ist. Damit liegt es jetzt am Supreme Court über den Fortgang der Präsidentenwahlen in den USA zu entscheiden. Die Frage nach Trumps Ausschluss vom Präsidentenamt ist nicht nur juristisch knifflig – sie hat politische Sprengkraft, könnte die US-Gesellschaft im Wahljahr weiter spalten und das politische System an seine Grenzen bringen.
Trump hat Mehrheit am Supreme Court nach rechts verschoben
Das Oberste Gericht des Landes gibt sich gern unparteiisch und unbefangen. Vor gut 23 Jahren hat es allerdings schon einmal in einer historischen Entscheidung über den Ausgang einer Präsidentenwahl entschieden. Damals ging es um die Frage, ob die Stimmen im entscheidenden Bundesstaat Florida neu ausgezählt werden sollten. Der Supreme Court stoppte die Neuauszählung und machte damit den Republikaner George W. Bush zum Präsidenten, der Demokrat Al Gore verlor. Das Ansehen des Gerichts nahm damals Schaden, es gab viel Kritik. Das Urteil des Supreme Court im Fall Trump dürfte eine ähnliche – vielleicht sogar noch größere – Dimension haben.
Trump hatte während seiner Amtszeit die Möglichkeit, drei Richterposten am Supreme Court neu zu besetzen. Er entschied sich für erzkonservative und tief religiöse Kandidaten und verschob die Mehrheiten am Gericht möglicherweise für Jahrzehnte weit nach rechts. Nur drei der neun Richterinnen und Richter werden dem liberalen Lager zugeordnet. Das Gericht hat in dieser Besetzungskonstellation häufig im Sinne religiöser Kläger entschieden, den Schutz von Minderheiten aufgeweicht und etwa das rund 50 Jahre lang geltende Recht auf Abtreibung gekippt. In der Folge hat das Gericht Umfragen nach an Zustimmung in der Bevölkerung verloren. Dennoch entschied es nicht immer Sinne Trumps – etwa als es um die Herausgabe seiner Steuerunterlagen ging.
Juristischer Drahtseilakt
Im Fall um Trumps Eignung als Präsident gibt es grob drei Fragen zu klären. Die erste ist, ob die Aufstandsklausel in der Verfassung für Präsidenten gilt. Zwar werden in der Passage einige Beispiele für solche höheren Ämter genannt, nicht explizit aufgeführt ist aber das Amt des Präsidenten. Zweitens muss geklärt werden, ob der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 als Aufstand zu werten ist. Trumps Anhänger hatten damals den Parlamentssitz in Washington gestürmt. Dort war der Kongress zusammengekommen, um den Sieg des Demokraten Joe Biden bei der Präsidentenwahl formal zu bestätigen. Trump hatte seine Anhänger zuvor bei einer Rede aufgewiegelt. Sollte dieses Ereignis als Aufstand gewertet werden, müsste drittens geklärt werden, ob Trump sich daran beteiligt hat.
Fachleute gehen allerdings davon aus, dass das Gericht keine dieser Fragen beantworten wird. Denn dafür ist der Fall zu politisch aufgeladen. «Ich denke, es wird ein technisches Urteil geben», sagt der Juraprofessor Aaron Tang von der Stanford Universität in Kalifornien im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Das bedeutet, dass der Supreme Court die zentralen Fragen umschiffen würde, um sich nicht politisch angreifbar zu machen. «Man kann sich das wie einen Notausgang vorstellen, als Weg, auf dem der Supreme Court für Trump entscheiden kann, der politisch nicht explosiv ist.» Tang geht davon aus, dass das Gericht sich auf Trumps Seite stellen wird.
Supreme Court könnte Kongress Verantwortung zuschieben
Tang und andere Juristinnen und Juristen vermuten, dass der Supreme Court die Zuständigkeit für die Frage nach der Eignung als Präsident beim Kongress sehen könnte. Ein mögliches Urteil könnte besagen, dass der US-Kongress erst entsprechend handeln müsste, bevor die Aufstandsklausel auf eine bestimmte Person angewendet werden könne. So argumentierte am Donnerstag auch Trumps Anwalt Jonathan Mitchell. In einem Schlagabtausch mit den Richterinnen und Richtern vertrat er außerdem die Auffassung, dass die Aufstandsklausel nicht auf Trump zutreffe, weil diese sich nur auf ernannte und nicht auf gewählte Amtsträger wie Präsidenten beziehe.
Auch zu der Frage, ob es sich bei dem Sturm auf das Kapitol um einen Aufstand handle, äußerte er sich: «Dies war ein Krawall. Es war kein Aufstand. Die Ereignisse waren beschämend, kriminell, gewalttätig, all diese Dinge, aber sie galten nicht als Aufstand.» Der Anwalt der Gegenseite, Jason Murray, betonte hingegen, dass die Ereignisse am 6. Januar 2021 die Kriterien eines Aufstands erfüllten. Einige konservative Richter gingen auf die mögliche Einstufung als Aufstand ein, die Frage war aber nicht zentrales Thema der Verteidigung Trumps. Der Oberste Richter John Roberts gab zudem zu bedenken, dass die Disqualifizierung Trumps vom Präsidentenamt in einem Bundesstaat zur Folge haben könnte, dass in anderen Bundesstaaten demokratische Kandidaten vom Wahlzettel gestrichen werden könnten.
Trumps Super-GAU
Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass der Supreme Court entscheidet, dass Trump nicht für das Präsidentenamt geeignet sei. Er könnte dann zwar weiter kandidieren, sein Name könnte je nach konkreter Entscheidung unter bestimmten juristischen Umständen vielleicht auch auf dem Wahlzettel in manchen Bundesstaaten stehen. Aber der Republikaner dürfte nicht noch einmal Präsident der USA werden. Expertinnen und Experten gehen aber davon, dass es absolut unwahrscheinlich ist, dass das Oberste Gericht ein solches Urteil fällen wird. Auch bei der Anhörung am Donnerstag deutete sich nicht an, dass das Gericht diesen Weg einschlagen wird.
Sollte es doch so kommen, befürchten einige Beobachter auch politische Gewalt – der Sturm auf das Kapitol hat gezeigt, wie weit Trump und seine Anhänger bereit sind zu gehen. Für Jurist Tang wäre ein solches Urteil eine «weltverändernde Entscheidung».
Quellen: Mit Material der dpa.