Kiew (dpa) – Für die Ukraine ist die Mobilisierung neuer Soldaten nach Worten von Präsident Wolodymyr Selenskyj eine teure und politisch heikle Frage. «Die Frage der Mobilisierung ist eine sehr sensible», sagte Selenskyj bei einer Pressekonferenz zum Jahresabschluss in Kiew.
Die Armee habe 450.000 neue Soldaten angefordert. Eine zusätzliche Mobilmachung in diesem Umfang erfordere etwa 500 Milliarden Hrywnja (12,2 Milliarden Euro). Für ihn sei es zudem wichtig, wer von den bisher kämpfenden Soldaten dann ein Recht auf Erholung und Heimaturlaub bekomme. Es werde für diese Rotation ein komplexer Plan ausgearbeitet.
Russland habe 2023 keines seiner Kriegsziele in der Ukraine erreicht, sagte Selenskyj. Moskau habe das ukrainische Gebiet Donezk nicht komplett erobern können. Stattdessen habe die Ukraine die Kontrolle über das westliche Schwarze Meer weitgehend wieder hergestellt. Die Ukraine wehrt seit Februar 2022 eine großangelegte russische Invasion ab. Der russische Präsident Wladimir Putin sagte am Dienstag in Moskau, die Initiative liege derzeit bei seinen Truppen.
Selenskyj: «USA werden uns nicht verraten»
Ungeachtet der aktuell stockenden westlichen Hilfen zeigte sich Selenskyj zudem zuversichtlich, dass sowohl die USA als auch die EU sein Land künftig weiter unterstützen würden. «Ich bin überzeugt davon, dass die USA uns nicht verraten werden», sagte er. Auch mit Blick auf ein derzeit von Ungarn blockiertes EU-Finanzpaket von 50 Milliarden Euro zeigte sich der Staatschef optimistisch: «Es werden sich Mittel finden, diese 50 Milliarden zu erhalten.»
Die Idee eines Beitritts der Ukraine zur Nato ohne die russisch besetzten Gebiete lehnte Selenskyj unterdessen klar ab. Einem geteilten Beitritt werde die Ukraine nicht zustimmen. «Wir haben von keinem unserer Partner einen solchen Vorschlag erhalten. Ich kann mir auch nur schwer vorstellen, wie das aussehen soll», sagte er.
Bericht: Ukrainische Soldaten werfen Russland Gaseinsatz vor
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs besteht die Sorge, Russland könnte in der Ukraine auch Chemiewaffen einsetzen. Nun haben ukrainische Soldaten von der Front dem US-Fernsehsender CNN berichtet, in den vergangenen Wochen sei ein ätzendes und entflammbares Gas von Drohnen auf die ukrainischen Linien abgeworfen worden. Der Sender berief sich auch auf Angaben eines Geheimdienstmitarbeiters und eines Sanitäters. Die Russen setzten das Gas offenbar ein, um Panik unter den ukrainischen Soldaten auszulösen, bevor sie beschossen werden, hieß es. Die Angaben konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden.
Klitschko: Freie Welt muss besser auf Kriege vorbereitet sein
Aus Sicht von Ex-Boxweltmeister Wladimir Klitschko (47) muss die «freie Welt» besser auf Kriege vorbereitet sein. «Denn das Böse kommt immer wieder hoch. Und dann müssen wir in der Lage sein, es zu bekämpfen», sagte er der «Augsburger Allgemeinen».
Seinem Land stehe ein schwieriger Winter bevor. «Insgesamt wird es noch komplizierter werden, die besetzten Gebiete zurückzuerobern», sagte der gebürtige Ukrainer. «Es ist aktuell wie in einem Boxkampf. Wir sind über die Mitte hinweg. Aber es liegen noch viele Runden vor uns. Ich glaube, dass der Krieg noch länger dauern wird, als wir alle erwarten.»
Kyivstar meldet erneut Netzprobleme
Rund eine Woche nach einem verheerenden Cyberangriff hat der ukrainische Mobilfunkanbieter Kyivstar erneut mit Problemen zu kämpfen. Heute bestätigte der Konzern in einer Mitteilung beim Kurznachrichtendienst X (früher Twitter) Verbindungsprobleme in «einer Reihe von Städten im Westen und Süden der Ukraine». Das Netz sei noch in einer Stabilisierungsphase und daher könnten weiter kurzzeitige Probleme auftreten, hieß es.
Großbritannien: Frontverlauf in Ukraine stagniert
Nach Einschätzung des britischen Verteidigungsministeriums bringen die Kämpfe in der Ukraine kaum Veränderungen des Frontverlaufs. Russland versuche es weiterhin mit einzelnen Angriffen. «Ein großer Durchbruch Russlands ist unwahrscheinlich und die Front ist insgesamt durch Stagnation gekennzeichnet», teilte das Ministerium in London am Mittwoch beim Kurznachrichtendienst X mit.
Die Ukraine habe in den vergangenen Wochen Anstrengungen unternommen, um ihre Befestigungen zu verstärken, schrieben die Briten. Ukrainische Streitkräfte würden eine defensivere Haltung entlang eines großen Teils der Frontlinie einnehmen.
Quellen: Mit Material der dpa.