Gletscher vor dem Abschmelzen – Atempause im «Sterbeprozess»

VonJudith Eichhorn

20. November 2023

Garmisch-Partenkirchen/Berchtesgaden (dpa) – Die vier letzten Gletscher Deutschlands an der Zugspitze und im Watzmanngebiet haben den Sommer teils besser überstanden als befürchtet. Sie behalten vorerst den Status als Gletscher.

Eine Rettung gibt es für sie trotzdem nicht. In etwa 15 Jahren wird nach der Prognose der Forscher von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BAdW) das letzte vormals «ewige» Eis verschwunden sein.

Vor allem der Watzmann- und der Blaueisgletscher bei Berchtesgaden haben nach neuen Messungen der BAdW-Wissenschaftler in diesem Sommer vergleichsweise wenig Fläche verloren. Wie es mit dem Eisvolumen aussieht, werde noch ausgewertet. Die Eisdecken-Messung ist komplex.

«Wir sind dran, die Daten auszuwerten – und es sieht so aus, dass wir in Berchtesgaden für die dortigen Gletscher gar keinen so schlechten Sommer hatten», sagte der Glaziologe Christoph Mayer von der BAdW, die für die Staatsregierung alle paar Jahre einen Gletscherbericht erstellt. «Wir hatten in Berchtesgaden am Ende der Saison noch Schnee auf den Gletschern, teilweise zumindest.» Schnee reflektiert das Sonnenlicht und schützt damit das Eis. Auch das kalte Frühjahr mit spätem Schneefall habe wahrscheinlich dazu beigetragen, dass sich das Abschmelzen verlangst habe.

Schlechte Nachrichten für die Zugspitze

Schlechter sieht es in diesem Jahr an Deutschlands höchstem Berg, der Zugspitze, aus. «Am Höllentalferner und am Nördlichen Schneeferner sind die Flächen deutlich kleiner geworden», sagt Mayer. Vor allem der Nördliche Schneeferner habe gelitten. Während der Höllentalferner wie auch die Berchtesgadener Gletscher eher schattig liegen, sei er der Sonne stark ausgesetzt.

Im Juli hatten Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche zum Requiem für den Nördliche Schneeferner in die Kirche Mariä Heimsuchung am Zugspitzplatt geladen – als Weckruf für die Klimakrise und die Gefahren für Natur und Menschheit. Mit Sterbebildchen vom dahinsiechenden Gletscher mit seinem schmutzig-grauen Eis, Gebeten und Aussegnung feierten die Gläubigen sein erwartetes Ableben – prä-posthum, denn der Nördliche Schneeferner hat nach der aktuellen Prognose noch etwa sieben Jahre vor sich, eher er seinen Gletscherstatus verliert.

Im vergangenen Jahr hatten die Experten dem Südlichen Schneeferner den Status als bis dahin fünftem deutschen Gletscher aberkannt. Mit rund eineinhalb Hektar – das sind etwa zwei Fußballfelder – war er noch halb so groß wie vier Jahre zuvor. Und: Er fließt nicht mehr. Doch das Fließen ist ein Kriterium für die Einordnung als Gletscher.

Eis verschwindet immer schneller

Das zunehmende Fehlen von Niederschlägen als Schnee ist neben der allgemeinen Erwärmung ein wesentlicher Faktor für das immer schnellere Verschwinden des Eises. «Je weniger Schnee wir haben, desto weniger wird ein Gletscher geschützt», sagt Laura Schmidt, Wissenschaftskommunikatorin der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus an der Zugspitze. Dieses Jahr habe der warme September und Oktober – die wärmsten seit Beginn der Messungen an der Zugspitze – dem Eis zugesetzt. «Dem nördlichen Schneeferner geht es schlecht.» Schmidt sieht den Schwund im Sommer bei jedem Blick aus dem Fenster.

Kälteeinbrüche legten früher wenigstes für ein paar Tage auch im Sommer eine schützende Schneedecke auf das Eis. Doch das geschieht immer seltener. Über 0 Grad warmer Regen, hohe Luftfeuchtigkeit und lange Sonnenperioden beschleunigen die Gletscherschmelze.

Eisreserven reichen vielleicht noch für zwei, drei Jahre

Schon bei der letzten umfassenden Messung 2018 waren Höllentalferner und Nördlicher Schneeferner – es sind die beiden größten deutschen Gletscher – mit jeweils etwas über 16 Hektar nur noch knapp halb so groß wie das Oktoberfestgelände. Die beiden Gletscher im Berchtesgadener Land waren damals um die fünf Hektar groß. Die Eisreserven dort reichen laut Mayer vielleicht noch für zwei, drei Jahre – je nach dem Verlauf der nächsten Sommer auch etwas länger. Der Sommer 2022 mit wochenlangem Sonnenschein war den Wissenschaftlern zufolge «verheerend»: Die Schmelze war demnach alpenweit um rund 50 Prozent stärker als in einem Durchschnittsjahr.

Am besten hält sich der Höllentalferner. Er liegt in einer tiefen Mulde und wird nicht zuletzt aufgrund seiner Lage regelmäßig zumindest im oberen Teil durch Lawinen gespeist. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass er am längsten überleben wird – vielleicht bis 2035, lautet die vorsichtige Prognose des Glaziologen Mayer. Dann wird Deutschland wohl gletscherfrei sein.

Quellen: Mit Material der dpa.

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