Lissabon (dpa) – Der portugiesische Regierungschef António Costa ist überraschend wegen Korruptionsermittlungen der Justiz gegen ihn und andere Regierungsmitglieder zurückgetreten. Costa sagte in einer kurzen Erklärung, Präsident Marcelo Rebelo de Sousa habe sein Rücktrittsgesuch angenommen.
«Nach meinem Verständnis ist die Position des Regierungschefs nicht mit einem Verdacht auf Integrität oder gutes Benehmen und schon gar nicht mit dem Verdacht, eine Straftat begangen zu haben, vereinbar», sagte der 62-Jährige. Er sei am Morgen von der Nachricht «überrascht» worden, dass sich die Ermittlungen auch gegen ihn richteten. Er betonte zugleich seine Unschuld. «Ich schließe diese Phase mit gutem Gewissen ab», sagte der Sozialist.
Auch Residenz Costas durchsucht
Die portugiesische Polizei hatte am Morgen mehr als 40 Wohnungen und Büros, darunter auch die Residenz Costas, durchsucht. Medienberichten zufolge wurden fünf Personen festgenommen, darunter Costas Kabinettschef Vítor Escaría. Es gehe um den Verdacht illegaler Praktiken wie Bestechlichkeit und Vorteilsnahme bei der Vergabe von Konzessionen zum Lithiumabbau in Montalegre sowie der Produktion sogenannten Grünen Wasserstoffs bei der Stadt Sines, berichteten die staatliche Nachrichtenagentur Lusa und der staatliche TV-Sender RTP.
Bei den Festgenommenen handele es sich neben dem Kabinettschef um den einflussreichen Unternehmer und Vertrauten Costas, Diogo Lacerda, und den Bürgermeister von Sines, Nuno Mascarenhas, sowie zwei weitere Geschäftsleute, berichteten RTP und Lusa weiter. Was genau den Festgenommenen vorgeworfen wird, wurde zunächst nicht bekannt.
Costa galt Umfragen zufolge als Favorit bei nächster Parlamentswahl
Rebelo de Sousa kann nun einen Interimsregierungschef ernennen, das Parlament auflösen. Dann muss es eine Neuwahl geben. Deren Ausgang war zunächst schwer vorherzusagen. Bis zum Morgen galt Costa Umfragen zufolge als Favorit bei der nächsten regulären Parlamentswahl, die erst für 2026 erwartet worden war. Portugal ist damit neben Spanien das zweite Land der Iberischen Halbinsel mit einer nicht voll handlungsfähigen Regierung. Im größeren Nachbarland Spanien hat der geschäftsführende sozialistische Regierungschef Pedro Sánchez nur noch bis zum 27. November Zeit, eine Regierung zu bilden. Gelingt ihm das nicht, muss am 14. Januar erneut gewählt werden.
Mit dem Rücktritt Costas wird eine knapp achtjährige Erfolgsstory jäh unterbrochen. Erst im Januar vorigen Jahres hatte Costa mit seiner Sozialistischen Partei (PS) eine absolute Mehrheit im Lissabonner Nationalparlament, der Assembleia da República, errungen. Davor hatte er seit Ende 2015 linke Minderheitsregierungen souverän angeführt. Es war erst das zweite Mal seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie nach der Nelkenrevolution vom 25. April 1974, dass die PS einen solchen Erfolg erzielte.
Der Grund für den Wahlerfolg?
Nach den schweren Jahren der Euro-Krise zeichnete Costa für das vielgefeierte portugiesische «Wunder» verantwortlich. Fast immer lag das Wirtschaftswachstum des kleinen Landes mit nur 10,3 Millionen Einwohnern seit 2016 unter anderem auch dank des boomenden Tourismus über dem EU-Durchschnitt. 2022 wurden 6,7 Prozent registriert, in Deutschland waren es 1,8 Prozent. Die Arbeitslosenrate konnte rapide gesenkt werden und lag zuletzt bei nur gut sechs Prozent. Zum Vergleich: Das wirtschaftlich um einiges stärkere Nachbarland Spanien verzeichnet rund 13 Prozent.
Den monatlichen Mindestlohn erhöhte Costas Regierung von 505 auf zuletzt 820 Euro. Costa schaffte dabei den Spagat, soziale Verantwortung zu zeigen und gleichzeitig auch die einst maroden Staatsfinanzen zu konsolidieren. Allein zwischen 2020 und 2022 wurde die relative Staatsverschuldung in Relation zum Bruttoinlandsprodukt von cirka 135 auf knapp 114 Prozent reduziert.
Sozialdemokratische Delegationen aus ganz Europa pilgerten in den vergangenen Jahren nach Lissabon, um das Rezept für den Erfolg zu kopieren. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete Costa einmal als «einen unermüdlichen Verfechter der sozialen Gerechtigkeit». Die renommierte spanische Zeitung «El País» bezeichnete das westliche Nachbarland als «sozialdemokratische Bastion in Europa».
Quellen: Mit Material der dpa.