Athen/Frankfurt (dpa) – Die Euro-Währungshüter haben angesichts gesunkener Inflationsraten nach zehn Zinserhöhungen in Folge nicht weiter an der Zinsschraube gedreht. Der Rat der Europäischen Zentralbank beließ den Leitzins bei 4,5 Prozent, wie die Notenbank nach einer auswärtigen Ratssitzung in Athen mitteilte.
Die EZB werde weiter nach der Datenlage entscheiden, sagte Präsidentin Christine Lagarde auf die Frage nach dem weiteren Vorgehen. Eine Diskussion über Zinssenkungen sei aber «völlig verfrüht». Zuletzt waren die Sorgen um die Konjunktur gewachsen.
Höhere Zinsen verteuern Kredite, was die Nachfrage bremsen und hohen Teuerungsraten entgegenwirken kann. Teurere Kredite sind zugleich eine Last für die Wirtschaft, weil sich kreditfinanzierte Investitionen verteuern. Der Einlagenzins, den Banken für geparkte Gelder erhalten, verharrt nach der jüngsten Entscheidung der Notenbank bei 4,0 Prozent. Dies ist das höchste Niveau seit Bestehen der Währungsunion 1999.
Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer wird die EZB die Zinsen in den kommenden Monaten wohl nicht weiter erhöhen. Auch Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, rechnet in diesem Jahr nicht mit einer Anhebung. «Die Inflationsraten werden auf Sicht der kommenden Monate weiter fallen.» Zudem bleibe die wirtschaftliche Entwicklung schwierig.
«Zinserhöhungen wirken wie ein Langzeit-Medikament mit erheblichen Zeitverzögerungen», erläuterte Friedrich Heinemann, Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW.
Mittelfristige Inflationsrate von 2,0 Prozent angestrebt
Die EZB strebt mittelfristig stabile Preise bei einer Inflationsrate von 2,0 Prozent an. «Auf Grundlage seiner aktuellen Beurteilung ist der EZB-Rat der Auffassung, dass sich die EZB-Leitzinsen auf einem Niveau befinden, das – wenn es lange genug aufrechterhalten wird – einen erheblichen Beitrag zu diesem Ziel leisten wird», teilte die EZB mit.
Im September schwächte sich die Teuerung im gemeinsamen Währungsraum deutlich ab: Die Jahresinflationsrate fiel von 5,2 Prozent im August auf 4,3 Prozent. Im vergangenen Jahr war die Inflation infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zeitweise zweistellig gewesen.
Die EZB stemmte sich seit Juli 2022 mit einer beispiellosen Serie von Zinsanhebungen gegen diese Entwicklung. Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes BdB mahnte, die EZB sollte die Tür für Zinserhöhungen offenhalten.
Sparer profitieren von gestiegenen Zinsen und gesunkener Inflation
Deutsche Sparer profitieren nach einer langen Durststrecke von gestiegenen Zinsen und der zuletzt gesunkenen Inflation. Erste Topanbieter zahlen für Festgeldanlagen mit einem Jahr Laufzeit Zinsen, die mit 4,75 Prozent oberhalb der Inflationsrate von 4,5 Prozent im September liegen, wie aus einer Auswertung des Vergleichsportals Verivox hervorgeht.
Im Schnitt liegt der Realzins – also der Zins nach Abzug der Inflation – den Angaben zufolge bei Festgeldanlagen allerdings immer noch bei minus 1,18 Prozent (Stichtag: 20. Oktober). Der Wertverlust durch die Teuerung ist damit größer als der Kapitalzuwachs durch die Zinsen. Verivox zufolge könnte die Ära steigender Zinsen bald zu Ende gehen: «Momentan deutet viel darauf hin, dass die Festgeldzinsen ihren Gipfel bald erreicht haben.»
Wirtschaft bleibt schwach
Die Sorgen um die Konjunktur waren zuletzt gewachsen. «Die Wirtschaft im Euroraum bleibt schwach», sagte Lagarde. Die EZB rechnete zuletzt mit einem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes von 0,7 Prozent in diesem Jahr. Im Juli war noch ein Plus von 0,9 Prozent vorhergesagt worden. Europas größte Volkswirtschaft Deutschland wird nach Einschätzung der Bundesregierung und vieler Ökonomen in diesem Jahr sogar leicht schrumpfen.
Quellen: Mit Material der dpa.