Essen (KNA)Spieleabende mit Freunden sind in diesen unruhigen Zeiten sehr beliebt. Nach dem Abklingen der Corona-Pandemie und aufgrund der stark gestiegenen Preise in nahezu allen Bereichen treffen sich vor allem viele junge Menschen lieber in privater Runde. Eskapismus, eine Form von Weltflucht mag man das nennen. Fest steht: Nach der leidigen Vereinzelung während der Pandemie und angesichts drohender neuer Wellen sehen viele Menschen den öffentlichen Raum immer noch als eine potenzielle Gefahrenzone. Hinzu kommen die täglichen Horrornachrichten über Klima, Krieg und politischen Extremismus – all das überfordert zunehmend.
Das Spielen gewährt dagegen eine Auszeit von jener Zeitenwende, die nichts Gutes verheißt. Im Gesellschaftsspiel sind die Regeln klar festgelegt; alle starten erst einmal unter den gleichen Voraussetzungen. Gewinnen und Verlieren haben keine weitreichenden Folgen. Alle Weltprobleme verflüchtigen sich für einen Moment, die Lage bleibt übersichtlich, anders als im realen Leben.
Geselliges Beisammensein
Der einsame Computer-Nerd, der sich hinter Bergen von leeren Pizzaschachteln in seinem Kinderzimmer verschanzt, um dort allein vor sich hin zu daddeln, ist eher out – und war vielleicht schon immer ein Klischee. Die Nähe zueinander haben viele vermisst, ist der Mensch doch ein soziales Wesen. Geselliges Beisammensein klingt zwar etwas spießig, aber darum geht es wieder.
Was aber, wenn jemand Gesellschaftsspielen nie etwas abgewinnen konnte – und diese Form des Beisammenseins eher nervig findet? Diese Zeitgenossen durchleben momentan keine einfachen Zeiten. Als Spielemuffel, Spielverderber oder Spaßbremse zu wirken, wer will das schon? Also spielt man eben mit. Dass das Spiel hauptsächlich positiv besetzt ist, ist nicht zuletzt solchen Großdichtern wie Friedrich Schiller zu verdanken. Er behauptete, der Mensch sei nur da ganz Mensch, wo er spiele.
Die Tücken des Spielens
Doch im Spiel lauern sehr viele Tücken ernster Natur. Unweigerlich gibt man sich eine Blöße, wenn man sich auf dieses Terrain begibt. Und es ist nachvollziehbar, dass Menschen sich hier nicht preisgeben möchten. Die einen wollen sich nebenbei unterhalten und sind nicht bei der Sache. Das nervt diejenigen, für die jeder Wettstreit eine ernste Angelegenheit ist und von ihren Mitspielern verlangen, dieselbe Konzentration aufzubieten.
Beim Spiel zeigt sich, so heißt es, der wahre Charakter. Aber wer möchte den schon offenbaren? Wer möchte schon als schlechter Verlierer dastehen, der seinen Ärger nicht verbergen kann? Wer möchte in die peinliche Situation geraten, sich zu sehr über den eigenen Triumph zu freuen und damit überheblich zu wirken? Und welches Ehepaar, das zusammen in einer Runde ein Team bildet, möchte schon nach außen kundtun, wer bei ihnen das Sagen hat, wenn gemeinsame Entscheidungen getroffen werden müssen? Oft treten im Spiel unterdrückte Spannungen zwischen Spielerinnen und Spielern offen zutage.
Planspiele für Führungskräfte
Nicht umsonst veranstalten Firmenkonzerne in Managerkreisen gern Planspiele, um die Resilienzfähigkeit angehender Führungskräfte in Spannungssituationen auszutesten. Menschen mit niedriger Frustrationsschwelle, wenig Humor und übertriebenem Ehrgeiz haben da schlechte Karten.
So harmlos, wie es klingt, ist so ein Spiel nie. Kein Würfelglück zu haben, ist nicht schlimm. Beschämend wird es dann, wenn nicht die Fortune, sondern Intelligenz gefragt ist. Wer bei Quizspielen für Erwachsene wie „Trivial Pursuit“ nur Rudimente von Allgemeinwissen vorweisen kann, gibt seinen Mitspielern und Mitspielerinnen unweigerlich zu denken.
Besonders anstrengend kann es werden, wenn es im Spiel um die Seele geht, man seine Gefühle und Neigungen offenbaren soll und von seiner Runde quasi-therapeutisch ausgefragt wird. „Therapy“ ist so ein Produkt. Verweigert man sich solchen Spielen, läuft man derweil Gefahr, als blockiert zu gelten. Aus diesem Dilemma rettet die Spielverderber womöglich Epiktet, der griechische Philosoph: „Sei nicht feiger als die Kinder! Wenn es dir angezeigt erscheint, sage: ‚Ich spiele nicht mehr mit.'“