Olpe (KNA)Anfangs haderte Sylvia Ruland mit sich. „Der Philipp kommt doch klar, was sollen wir in einem Hospiz?“, fragte sich die Mutter des schwer nierenkranken Jungen. Schon der Begriff schreckte die 52-Jährige ab. Mit einem Hospiz verband sie einen düsteren Ort, an den todkranke Menschen zum Sterben kommen. Heute weiß sie, dass sie einem Vorurteil anhing.
Auf einer Tafel im Eingangsbereich des Kinder- und Jugendhospizes „Balthasar“ in Olpe stehen die Worte „Leben und Lachen“ – vor „Sterben und Trauern“. Durch einen Flur, auf dessen Wänden sich die jungen Gäste mit bunten Abdrücken ihrer Hände verewigt haben, gelangt man ins Herzstück des Gebäudes: Einem hellen, lebendigen Aufenthaltsraum mit Kantine, wo alle zusammenkommen. Wer es nicht besser weiß, könnte meinen, in einer Kita gelandet zu sein.
Ein Ort der Erholung für Eltern
Hier trinkt Ruland gemütlich Kaffee mit dem Vater eines anderen jungen Gastes. Einen Raum weiter geht ihr Sohn seinem Lieblingshobby nach: Puzzeln. Im Rollstuhl sitzt er am Tisch und setzt Teil für Teil das bunte Bild zusammen, feixt dabei in Gebärdensprache mit seinem Pfleger. Die Stimmung ist heiter.
Seit neun Jahren kommt Familie Ruland etwa alle vier Monate her. „Für mich ist es hier Erholung pur“, sagt Sylvia Ruland. „Ich fahre quasi von Zuhause nach Zuhause.“ Nur sei sie hier nicht von frühmorgens bis spätabends mit der Pflege ihres Sohnes beschäftigt. Während sich darum das Hospizteam kümmert, kann sie mit Philipps Bruder Tischtennis spielen oder an ihrem Lieblingsort, dem Kreativraum, malen, töpfern oder basteln.
Vorreiter für deutsche Kinderhospize
Das Ziel, die Familien zu entlasten, verfolgt das „Balthasar“ seit 25 Jahren. Als bundesweit erste Einrichtung ihrer Art wurde sie 1998 eröffnet – und ist damit Vorreiter für viele weitere Kinderhospize in Deutschland. Mehr als 1.200 Familien hat die Einrichtung begleitet. Und viele der jungen Gäste – rund 370 – sind hier im Laufe der Jahre gestorben.
Oberstes Gebot des „Balthasar“ sei, dass Familien hier wieder zu Kräften kämen, sagt Hospizleiter Roland Penz. „Wir verstehen uns als Herberge auf dem Lebensweg der Familien – schon ab einem Zeitpunkt, wo der Tod noch gar nicht direkt vor der Tür steht“, erklärt der Kinderkrankenpfleger und Betriebswirt. Viele Familien seien sozial isoliert, da neben der oft kräftezehrenden Versorgung eines schwerkranken Kindes kaum noch Zeit für soziale Kontakte bleibe.
Der Auftrag des Hospizes spiegelt sich in seinem Namen: Als einer der drei Heiligen Könige folgte Balthasar aus dem Morgenland dem Stern bis nach Bethlehem – ein Sinnbild für die tiefe Sehnsucht des Menschen, ans letzte Ziel einer Reise zu kommen.
Die Einrichtung geht zurück auf eine Initiative betroffener Familien, die den Deutschen Kinderhospizverein gründeten und in der Gemeinnützigen Gemeinschaft der Franziskanerinnen zu Olpe (GFO) einen Träger für ihr Wunschprojekt fanden. Sie orientierten sich dabei an schon verbreiteten Konzepten in Großbritannien. 2009 kam das Jugendhospiz hinzu. 70 Mitarbeitende kümmern sich rund um die Uhr um die Bewohner.
Seelische Begleitung
Ein „Schema F“ in der Pflege gibt es laut der stellvertretenden Pflegeleiterin Julia Hegemann nicht. „Wir versuchen, die von zuhause gewöhnten Abläufe hier fortzuführen, um den Kindern ein Gefühl von Sicherheit zu geben.“ Im Unterschied zu anderen Einrichtungen ist eine Pflegekraft hier nicht für eine ganze Station verantwortlich, sondern gerade mal für zwei Gäste.
„So schaffen wir bewusst Zeit für Gespräche“, erklärt Hegemann. Viele Erkrankungen gingen mit einem schrittweisen Verlust von Fähigkeiten einher. „Das sind auch Abschiede, die seelische Begleitung brauchen: Der Abschied von der Stimme, vom Laufen oder selber essen können.“ Sichtlich etwas an der Lebensqualität eines Gastes verbessern zu können – „das sind die Momente, von denen man lebt“, sagt die 42 Jahre alte Kinderkrankenpflegerin lächelnd.
Fachkräftemangel schlägt durch
Das größte Problem der Kinderhospizarbeit in Deutschland derzeit ist dem Leiter zufolge der Mangel an Pflegekräften: „Der hat mittlerweile auch bei uns richtig durchgeschlagen.“ Einige Häuser in Deutschland mussten bereits Plätze aufgeben. Wegen unbesetzter Stellen blieben auch im „Balthasar“ zeitweise Betten leer. Mehr denn je brauche das Haus Unterstützer. Die Kassen zahlten zwar die palliativmedizinische Versorgung, für die Begleitung darüber hinaus brauche es Spenden.
Die lebensbejahende Haltung findet im Ambiente der Einrichtung seinen Ausdruck: Große Fensterscheiben lassen viel Licht herein, die Farben sind warm gehalten, und an den Wänden hängen bunte Bilder. Zu Aktivitäten laden neben dem Kreativraum auch ein Musikzimmer, ein Spielzimmer sowie ein großer Garten und die Terrasse mit einem Spielschiff aus Holz ein.
Im „Raum der Stille“ geht es ums Abschiednehmen. Der hohe Raum hat Fenster in der Decke und lässt so den Himmel herein. Hier werden die Kinder aufgebahrt, die im Haus gestorben sind. Den Raum können die Familien für sich gestalten. So haben hier schon Schalke-Schals gehangen oder Bilder von einer Schulklasse, die sich von einem Mitschüler verabschiedete.
Dass im Hospiz „Balthasar“ zwei Gegensätze gleichzeitig ihren Platz haben, findet Sylvia Ruland schön: „Die einen haben hier ihren Ort, wo sie gerade ganz extrem trauern – und für die Gäste am anderen Ende ist die Welt trotzdem total in Ordnung und so fröhlich und bunt wie immer.“