Warschau (dpa) – In der Hitze des Warschauer Hochsommers hat Piotr (32) ein schattiges Plätzchen ergattert. Hier steht er, seinen kleinen Sohn Michal auf den Schultern, und guckt gebannt auf vorbeiziehenden Soldaten, Panzer und Haubitzen. Der Informatiker aus Breslau (Wroclaw) und seine Familie sind eigens für die Militärparade in die polnische Hauptstadt gereist.
«Es ist gut, dass wir zeigen, dass wir auf die Verteidigung unseres Landes vorbereitet sind», sagt er mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen Polens Nachbarn Ukraine.
Es ist das erste Mal nach einer mehrjährigen Pause wegen der Pandemie, dass in Warschau zum «Tag der Armee» wieder eine Militärparade abgehalten wird. Mit dem Krieg in der Ukraine hat das Thema Verteidigung plötzlich einen zentralen Stellenwert in der polnischen Gesellschaft bekommen. Tausende Menschen drängeln sich auf den Wiesen entlang der Trasse der Parade, sie sind mit Kinderwagen, Hunden und Picknickdecken gekommen, um Kriegstechnik bestaunen.
Polen rüstet massiv auf
Das EU- und Nato-Land Polen ist nicht nur einer der größten militärischen Unterstützer der Ukraine – es rüstet auch selbst massiv gegen eine mögliche Bedrohung durch Russland auf. Wegen der Aktivitäten russischer Wagner-Söldner im benachbarten Belarus ist die Nervosität zuletzt noch gestiegen.
Die Parade soll nach Innen und Außen demonstrieren: Polen hat hat den Anspruch, eine wichtige Militärmacht im Osten Europas zu werden. Die Armee soll fast auf das Doppelte wachsen. Derzeit zählen die Streitkräfte 172 500 Männer und Frauen, darunter mehrere Zehntausend in den freiwilligen Heimatschutzverbänden. In den kommenden Jahren sollen es inklusive Heimatschutz 300.000 werden. Um das zu erreichen, wurde eine große Imagekampagne für die früher von der Bevölkerung eher belächelte «Wojsko» (Armee) angeschoben. Wer mag, kann etwa bei kostenlosen militärischen Bürgertrainings schießen lernen.
In diesem Jahr will das Land vier Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben – die Nato hatte sich in Friedenszeiten ein Ziel von zwei Prozent gesetzt. Zur Modernisierung von Armee und Luftwaffe hat Polen Milliardendeals mit den USA und Südkorea abgeschlossen.
Im vergangenen Sommer orderte Warschau in einem Großauftrag aus Südkorea 48 Kampfflugzeuge vom Typ FA-50, die ältere Maschinen sowjetischer Bauart ablösen sollen. Außerdem 180 Kampfpanzer vom Typ K2, von denen 24 bereits geliefert wurden. Eine zweite Tranche soll 800 Panzer umfassen, die zum Teil bereits in Polen hergestellt werden sollen. Zudem wird die polnische Armee 48 südkoreanische Panzerhaubitzen K9 bekommen als Ersatz für Geschütze, die an die Ukraine weitergegeben worden. Weitere 600 Haubitzen sollen ab 2024 geliefert werden, ab 2026 auch mit Produktion in Polen.
Milliarden für Rüstungsdeals
Von den USA kaufte das Land insgesamt 366 US-Kampfpanzer von Typ Abrams, davon 250 in der neuesten Ausführung, die noch nicht geliefert wurden, sowie 116 gebrauchte in einer älteren Version. Bereits 2020 orderte Polen aus den USA 32 amerikanische Kampfjets vom Typ F-35 – allein dieser Rüstungsdeal hatte einen Wert von umgerechnet 4,2 Milliarden Euro. Dazu kommen noch fast 700 Mehrfachraketenwerfersysteme vom US-Typ Himars und dem südkoreanischen Äquivalent Chunmoo.
«Wir werden mehr Raketenwerfer und Panzer haben als Deutschland und Frankreich zusammen», schreibt die Tageszeitung «Gazeta Wyborcza» mit einer Mischung aus Stolz und Grusel. Die nationalkonservative Regierungspartei PiS hat sich das Thema Verteidigung auch im Wahlkampf vor der Parlamentswahl am 15. Oktober auf die Fahnen geschrieben. Kaum ein Tag vergeht ohne Auftritt von Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak. Auch die Militärparade dient diesem Ziel. «Die Polen sollen einen Blick auf den ganzen militärischer Eisenkram werfen, sich von der wachsenden Stärke der Armee unter der PiS überzeugen und an der Wahlurne die einzig richtige Entscheidung treffen», spottete das Magazin «Polityka».
Derweil fragen sich viele Polen, wer die gigantischen Kosten für die Aufrüstung bezahlen soll. Der starke Mann der polnischen Politik, PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, hat darauf eine einfache Antwort: «Besser verschuldet als okkupiert», sagte er in einem Interview.
Quellen: Mit Material der dpa.