Washington/Kiew/Moskau (dpa) – Die USA sind nach Angaben von Präsident Joe Biden bereit, der Ukraine nach einem Ende des russischen Angriffskriegs ähnlichen Schutz zu bieten wie Israel. Den Vorschlag bezog Biden auf die Zeit zwischen Kriegsende und einem möglichen Nato-Beitritt. Biden betonte vor dem Gipfel der Nato-Staaten kommende Woche in Litauen in einem CNN-Interview überdies, dass eine solche umfassende Schutzgarantie nur im Fall eines Waffenstillstands und eines Friedensabkommens denkbar wäre.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, dessen Land sich seit 16 Monaten gegen eine russische Invasion verteidigt, knüpfte seine Teilnahme am Nato-Gipfel erneut an Bedingungen. Alle Entscheidungen müssten während des Treffens am Dienstag und Mittwoch getroffen werden, sagte er dem US-Sender ABC. «Ich will nicht zum Spaß nach Vilnius fahren, wenn die Entscheidung schon vorher gefallen ist.» Konkret sagte er: «Die Ukraine sollte klare Sicherheitsgarantien bekommen, solange sie nicht in der Nato ist.» Dies sei ein sehr wichtiger Punkt. «Nur unter diesen Bedingungen wäre unser Treffen sinnvoll.»
Bei dem Gipfel in Vilnius geht es darum, wie die Ukraine an das Bündnis herangeführt werden kann und welche Sicherheitsgarantien ihr nach einem Ende des russischen Angriffskriegs gegeben werden können. Zu der von der Ukraine gewünschten formellen Einladung in die Nato wird es aber voraussichtlich nicht kommen. Biden und etliche andere Nato-Partner halten die Ukraine noch nicht für einen Beitritt bereit – auch wegen des andauernden Krieges.
USA halfen Ukraine schon mit Dutzenden Milliarden Dollar
Biden sagte dazu, ein Beitrittsprozess brauche Zeit. In der Zwischenzeit könnten die USA der Ukraine aber die nötigen Waffen bereitstellen und sie befähigen, sich zu verteidigen.
Auf seiner Reise zum Nato-Gipfel legt Biden am Montag einen Zwischenstopp in Großbritannien ein. Neben einem Treffen mit Premierminister Rishi Sunak wird der 80-jährige US-Präsident auch auf Schloss Windsor bei König Charles III. erwartet.
Die USA unterstützen Israel jedes Jahr mit rund 3,8 Milliarden US-Dollar (knapp 3,5 Mrd. Euro) – davon geht ein beachtlicher Teil in die Abwehr von Raketen und Militärtechnik. Die USA unterstützen aber die Ukraine ebenfalls schon jetzt massiv: Seit Kriegsbeginn Ende Februar 2022 haben sie nach eigenen Angaben militärische Hilfe im Umfang von mehr als 40 Milliarden US-Dollar bereitgestellt oder zugesagt.
Selenskyj bringt Verteidiger des Azovstal-Werks zurück
Russland kritisierte, dass Selenskyj am Samstag mehrere an der Verteidigung des Stahlwerks Azovstal in Mariupol beteiligte hochrangige Offiziere aus der Türkei mit zurück in die Ukraine gebracht hat. Kremlsprecher Dmitri Peskow rügte dies als «direkten Verstoß gegen bestehende Vereinbarungen» sowohl von türkischer als auch von ukrainischer Seite. Die Freilassung der Asow-Kommandeure aus russischer Gefangenschaft sei an die Bedingung ihres Verbleibs in der Türkei bis Kriegsende geknüpft gewesen, sagte er.
Kurz nach Kriegsbeginn war die Hafenstadt Mariupol erbittert umkämpft. Nach mehreren Monaten hatten sich noch mehrere tausend ukrainische Soldaten, darunter Kämpfer des nationalistischen Asow-Regiments, im Stahlwerk Azovstal verschanzt. Später ergaben sich die letzten Verteidiger und gerieten in russische Gefangenschaft. Dann wurden sie an die Türkei ausgeliefert und kamen nun «nach Verhandlungen mit der türkischen Seite» wieder in ihre Heimat zurück, wie es von ukrainischer Seite hieß.
Streumunition – Steinmeier: USA nicht in den Arm fallen
Scharfe Worte fand Moskau auch für die US-Lieferung von Streumunition an die Ukraine. Dies sei eine weitere «eklatante Offenbarung des aggressiven antirussischen Kurses der USA, der auf die maximale Verlängerung des Konflikts in der Ukraine und einen Krieg bis zum «letzten Ukrainer» zielt», kommentierte die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa. Die Streumunition ist Teil eines neuen US-Militärhilfe-Pakets in Höhe von 800 Millionen US-Dollar. Washington hatte die Entscheidung trotz der erhöhten Gefahren für die Zivilbevölkerung als notwendig verteidigt. Russland setzte in dem Krieg selbst Streubomben ein.
Kritik an der Entscheidung in Washington kam auch von Großbritannien, Spanien und aus Deutschland. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte aber im ZDF-«Sommerinterview» am Sonntag, es sei zwar richtig, dass diese Art der Munition nach wie vor von der Bundesregierung geächtet werde und sich Deutschland gegen Lieferungen ausspreche. Aber die Bundesregierung könne «in der gegenwärtigen Situation den USA nicht in den Arm fallen».
Tote nach russischem Beschuss ostukrainischer Stadt
Nach dem russischen Beschuss der ostukrainischen Stadt Lyman am Samstag stieg die Zahl der Toten auf mindestens neun, wie die Behörden sonntags meldeten. Demnach gab es zudem 12 Verletzte.
Behörden: Russische Flugabwehr schießt ukrainische Raketen ab
In den Grenzregionen Rostow, Brjansk und auf der von Moskau annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim schoss die russische Flugabwehr laut Behörden ukrainische Raketen ab. Im Gebiet Rostow beschädigten die Trümmer einer abgeschossenen Rakete mehrere Gebäude, wie Gouverneur Wassili Golubew am Sonntag bei Telegram mitteilte. Es gebe keine Verletzten. Im Gebiet Brjansk sprach Gouverneur Alexander Bogomas von zwei abgeschossenen ukrainischen Raketen und nur leichten Schäden. Der Chef der besetzten Krim, Sergej Aksjonow, teilte mit, dass in der Region Kertsch ein Marschflugkörper abgeschossen worden sei. Es gebe weder Schäden noch Verletzte. Russischen Grenzregionen beklagen immer wieder Beschuss von ukrainischer Seite.
Russische Paramilitärs: Planen Operationen im Grenzgebiet
Das paramilitärische russische Freiwilligenbataillon «Legion Freiheit Russlands» plant nach Angaben eines Sprechers weitere Aktionen im russischen Grenzgebiet. «Im kommenden Monat oder so wird es eine weitere Überraschung geben», sagte Maximillian Andronnikow, der sich Cäsar nennt, in einem Interview der britischen Sonntagszeitung «The Observer». «Wir haben ehrgeizige Pläne. Wir wollen unser gesamtes Gebiet befreien.» Die «Legion Freiheit Russlands» besteht aus russischen Nationalisten, die aktuell aufseiten der Ukraine kämpfen.
US-Institut sieht Wagner-Armee weiter als Gefahr für Putin
Nach dem Aufstand der Söldnertruppe Wagner halten US-Experten diese weiterhin für eine potenzielle Gefahr für Putin und seinen Machtapparat. «Putin erlaubt Wagner und Prigoschin weiter, in Russland zu operieren und potenziell eine Gefahr für sein Regime zu sein», hieß es in einer jüngsten Analyse des US-Instituts für Kriegsstudien ISW in Washington. Auch zwei Wochen nach dem kurzzeitigen Aufstand mit wohl 25 000 Söldnern könnten sich Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin und die Kommandeure frei in Russland bewegen.