Kiew (dpa) – Bei ihrer Gegenoffensive haben die ukrainischen Truppen eigenen Angaben zufolge bislang sieben Orte aus russischer Besatzung befreit. Im Gebiet Saporischschja seien die Russen seit vergangener Woche an zwei Abschnitten um drei bis sieben Kilometer zurückgedrängt worden, sagte der Generalstabsvertreter, Olexij Hromow, auf einer Pressekonferenz in Kiew.
Nach Einschätzung der Nato brauchen die ukrainischen Streitkräfte aktuell vor allem Munition und Ersatzteile für die vorhandenen Waffensysteme. Unterdessen hat Russland die Ukraine bei neuen Luftangriffen mit Drohnen und Marschflugkörpern beschossen.
Russen leisten heftigen Widerstand
Nach Angaben aus Kiew wurde im Zuge der Gegenoffensive die Kontrolle über 100 Quadratkilometer ukrainischen Gebiets wiederhergestellt. Das entspricht in etwa der Größe von Mainz. Im östlichen Donezker Gebiet würden ukrainische Einheiten weiter südlich und nördlich der russisch kontrollierten Stadt Bachmut angreifen, fügte Hromow hinzu. Zugleich betonte Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar, dass der Feind «heftigen Widerstand» leiste. Die ukrainischen Vorstöße würden durch dichte Minenfelder, starkes Artilleriefeuer und sogenannte Kamikazedrohnen erschwert. «Der Feind gibt seine Positionen nicht einfach auf», sagte Maljar.
Neue Drohnen-Angriffe auf die Ukraine
Bei neuen russischen Angriffen sind nach ukrainischen Angaben am Donnerstag im Gebiet Dnipropetrowsk Industrieobjekte von drei Marschflugkörpern getroffen worden. In der Stadt Krywyj Rih in dem Gebiet sei ein 38 Jahre alter Mann verletzt worden, hieß es weiter. Die Stadt war bereits in der Vergangenheit Ziel russischer Angriffe. Bei einer Attacke am Dienstag starben dort zwölf Menschen. Bei dem neuen Luftalarm am Donnerstag habe die Flugabwehr die meisten Objekte abgeschossen, darunter einmal mehr auch 20 Drohnen, hieß es in Kiew. Allein in Odessa am Schwarzen Meer seien 13 Drohnen zerstört worden.
Nato: Ukraine bedarf vielfältiger Hilfe
Die Ukraine benötige viele unterschiedliche Arten von Unterstützung, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Rande eines Treffens der internationalen Kontaktgruppe zur Koordinierung von Militärhilfe für die Ukraine in Brüssel. Ein Schwerpunkt liege darauf, dafür zu sorgen, dass die vorhandenen Fähigkeiten während der gesamten Offensive genutzt werden könnten. Zum bisherigen Verlauf der Offensive sagte Stoltenberg: «Was wir sehen, sind heftige Kämpfe.» Es sei noch früh, aber man sehe, dass die Ukraine Gewinne mache und besetztes Land befreien könne. «Das liegt am Mut, an der Tapferkeit, an den Fähigkeiten der ukrainischen Soldaten», sagte er. Die Unterstützung, die die Nato-Staaten der Ukraine seit vielen Monaten leisteten, mache auf dem Schlachtfeld einen Unterschied.
Selenskyj schlägt «globalen Friedensgipfel» vor
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schlug einen «globalen Friedensgipfel» in der Schweiz vor. Er unterbreitete seinen Vorschlag am Donnerstag in einer Video-Ansprache vor den beiden Kammern des Schweizer Parlaments in Bern. Details oder einen Termin nannte er nicht. Selenskyj nahm in der Rede Bezug auf eine eigene «Friedensformel», die er vergangenes Jahr nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen sein Land vorgestellt hatte. «Sie können dort federführend sein, wo sie Ihre nationale Expertise am besten einsetzen können, um diese Friedensformel zu verwirklichen», sagte Selenskyj vor den Abgeordneten.
London sieht wichtigen Moment bei Moskaus Kooperation mit Wagner
In der Rivalität zwischen dem russischen Militär und der Söldnertruppe Wagner steht nach Ansicht britischer Militärexperten womöglich ein entscheidender Moment bevor. Am 1. Juli laufe eine Frist für Söldnertruppen in Russland ab, sich vertraglich dem russischen Verteidigungsministerium unterzuordnen, hieß es in einem Geheimdienstbericht des Verteidigungsministeriums in London. Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin habe aber klar gemacht, dass seine Kämpfer die Verträge nicht unterzeichnen würden. Das, obwohl die Forderung ausdrücklich von Präsident Wladimir Putin unterstützt worden sei. Bislang habe Prigoschin «ätzende Kritik» am russischen Verteidigungsministerium geübt, sich aber Putins Autorität gebeugt. Nun entwickle sich die Rhetorik des Wagner-Chefs hin zu «Missachtung breiterer Teile des russischen Establishments».
Bisher 28 Todesopfer nach Zerstörung des Kachowka-Staudamms
Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine haben die Behörden im Überschwemmungsgebiet Cherson bisher insgesamt 28 Todesopfer erfasst. Der von Russland kontrollierte Staudamm im Kriegsgebiet brach am Dienstag voriger Woche. Das Wasser aus dem Stausee überschwemmte Dutzende Ortschaften. Laut dem ukrainischen Stab zur Beseitigung der Flutfolgen ging das Hochwasser weiter zurück. Dennoch waren laut Militärverwaltung von Cherson noch 44 Ortschaften geflutet. Die Ukraine wirft russischen Truppen vor, den Staudamm vermint und gesprengt zu haben. Dagegen behauptet Russland, der Damm sei durch ukrainischen Beschuss zerstört worden.
IAEA-Chef: Lage an AKW Saporischschja ernst – aber stabil
Die Lage um das ukrainische Kernkraftwerk Saporischschja ist dem Chef der Internationalen Atombehörde zufolge nach dem Bruch des Kachowka-Staudamms zwar ernst, aber stabil. «Auf der einen Seite ist die Lage ernst, es gibt Folgen, und sie sind real. Andererseits wurde eine Reihe von Maßnahmen zur Stabilisierung der Situation getroffen», sagte Rafael Grossi der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge bei seinem Besuch in der Nuklearanlage.
Das von russischen Truppen besetzte Kernkraftwerk in der Südukraine speist sein Kühlwasser aus dem Kachowka-Stausee, der durch den Dammbruch austrocknet. Derzeit sei in den Kühlteichen aber noch genug Wasser, sagte Grossi. Der IAEA-Chef wollte eigentlich bereits am Mittwoch in die Kraftwerksstadt Enerhodar reisen, musste den Besuch aus Sicherheitsgründen dann jedoch um einen Tag verschieben. Mit ihm ist auch eine neue Gruppe an internationalen Beobachtern an der Anlage eingetroffen, die die bisherige Mission ablöst.