Ulm (dpa) – Dick eingepackt in einer großen Jacke, die Kapuze auf dem Kopf, einen Mund-Nasen-Schutz im Gesicht: So betritt der Angeklagte im Prozess um den blutigen Messerangriff auf zwei Schülerinnen in Illerkirchberg am Freitag den Gerichtssaal.
Die Staatsanwaltschaft in Ulm wirft dem 27-jährigen Mann aus Eritrea Mord und versuchten Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vor. Ihm werden die Mordmerkmale der Heimtücke und der Tötung zur Ermöglichung einer Straftat zur Last gelegt.
Beim Prozessauftakt vor dem Landgericht äußert sich der 27-Jährige nicht, es wird lediglich die Anklage verlesen. Der Andrang auf den Zuschauerplätzen hält sich an diesem Tag in Grenzen, einige Plätze bleiben frei. Dafür ist das Medieninteresse sehr hoch.
Nach nicht einmal 20 Minuten ist der erste Prozesstag jedoch schon wieder vorbei. Die Verhandlung selbst ist damit kürzer als das Warten auf ihren Beginn: Der Dolmetscher für den Angeklagten verspätete sich um eine halbe Stunde. Von Anfang an sei am ersten Verhandlungstag nur die Verlesung der Anklage geplant gewesen, sagt eine Gerichtssprecherin. Grund dafür sei, dass ein Verfahrensbeteiligter nicht anwesend sein konnte – stattdessen kam eine Vertreterin. Auch sei nicht klar gewesen, ob der psychiatrische Sachverständige kommen könne. Er war bei der Verhandlung jedoch dabei.
Staatsanwältin: «Zur falschen Zeit am falschen Ort»
Die Wege des mutmaßlichen Täters und der beiden Schülerinnen kreuzten sich der Ermittlungsbehörde zufolge am 5. Dezember zufällig. «Es waren reine Zufallsopfer. Man kann tatsächlich sagen, die beiden Mädchen waren an diesem Tag zur falschen Zeit am falschen Ort», sagt die Staatsanwältin.
Die Mädchen waren auf dem Weg zur Schule, als sie angegriffen wurden. Der Angeklagte habe sie erst gegrüßt und dann zugestochen. Die 14-Jährige überlebte den Messerangriff nicht, sie erlag im Krankenhaus ihren Verletzungen. Ihre 13 Jahre alte Freundin konnte schwer verletzt fliehen und überlebte. Ziel des mutmaßlichen Täters waren nicht die beiden Mädchen, sondern das Landratsamt des Alb-Donau-Kreises.
Angeklagter wollte mit Messer Reisepass erzwingen
«Der Angeklagte wollte einen Reisepass erlangen, um mit diesem Reisepass nach Äthiopien reisen zu können, um dort eine Frau heiraten zu können», sagt die Staatsanwältin. Das Landratsamt habe ihm aus seiner Sicht zu Unrecht die Ausstellung des dafür nötigen Passes verweigert. Das Dokument habe er am Tattag mit einem Messer erzwingen wollen.
Vor seiner Haustür soll er das Messer aus seinem Rucksack geholt und in die Jacke gesteckt haben, um es im Landratsamt griffbereit zu haben. In diesem Moment seien die Kinder an dem Haus vorbeigekommen. Der 27-Jährige habe angenommen, dass die Schülerinnen die Waffe gesehen hätten. Daraufhin habe er beschlossen, die beiden zu töten, damit sie seine Pläne nicht durchkreuzten. «Tatsächlich bemerkten die Mädchen das Messer bei ihm aber nicht», sagt die Staatsanwältin.
Angeklagter blickt stets nach unten
Während die Staatsanwältin die Anklage verliest und auch danach, blickt der 27-Jährige stets nach unten. Er sei deutlich mitgenommen, so seine Verteidigerin vor und nach der Verhandlung. Seit 2015 lebe er in Deutschland, spreche und verstehe Deutsch, sei als Leiharbeiter tätig gewesen und habe keine Leistungen bezogen. Trotzdem habe er noch in der Asylunterkunft in Illerkirchberg «unter nicht so schönen Umständen» gelebt.
Bis auf ein kleines Verfahren wegen Fahrens ohne Führerschein sei er strafrechtlich völlig unbelastet, sagt die Juristin. Von der Presse wird sie gefragt, ob ihr Mandant Reue zeige. «Er ist sehr introvertiert und hat nach dem Vorfall auch versucht, sich umzubringen. Also ich denke, ein größeres Anzeichen für Reue gibt es eigentlich nicht.»
Ob sich der Angeklagte zu den Vorwürfen einlassen wird, ist der Verteidigerin zufolge noch unklar. Die Möglichkeit dazu hat er beim zweiten Verhandlungstag am 13. Juni.
Tat sorgte für Entsetzen
Die Tat erschütterte die Menschen in der Region und sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Die Familien der beiden Mädchen schlossen sich dem Verfahren als Nebenkläger an. Am ersten Prozesstag waren die Eltern der Getöteten nicht zu sehen.
Der Vater des Mädchens hatte sich bei einem Bürgerdialog mit emotionalen Worten zur Tat geäußert und sich für den Abriss der Flüchtlingsunterkunft ausgesprochen, vor der seine Tochter getötet wurde. Diesen Wunsch erfüllt die Gemeinde. Für Illerkirchberg sei das alles auch ein halbes Jahr später noch ein Alptraum, hatte Illerkirchbergs Bürgermeister Markus Häußler (parteilos) gesagt.
Für den Prozess sind fünf Termine angesetzt. Ein Urteil könnte am 4. Juli ergehen. Dem Angeklagten droht eine lebenslange Haftstrafe.