Kiew/Moskau (dpa) – Bei einem erneuten russischen Raketenangriff auf die ukrainische Hauptstadt Kiew sind nach offiziellen Angaben mindestens drei Menschen getötet worden, darunter ein Kind. Darüber hinaus seien bei der nächtlichen Attacke 14 Menschen verletzt worden, teilte Bürgermeister Vitali Klitschko mit. Bei dem getöteten Kind handelt es sich nach Angaben der Polizei um ein neun Jahre altes Mädchen.
Nach Angaben der Militärverwaltung in Kiew war die Stadt gegen 3.00 Uhr Ortszeit (2.00 Uhr MESZ) mit bodengestützten Raketen angegriffen worden. Die Raketen seien von der Flugabwehr abgeschossen worden. Die Trümmer hätten aber zu vielen Opfern und zahlreichen Schäden geführt, hieß es. Betroffen war demnach auch ein Krankenhaus. Russland führt seit mehr als 15 Monaten einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland.
Selenskyj: Russlands Niederlage rückt näher
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht nach dem europäischen Solidaritätsgipfel in Moldau eine Niederlage Russlands im laufenden Krieg näher kommen. Das Treffen mit den Staats- und Regierungschefs sei maximal genutzt worden, um Hilfe für die Ukraine zu mobilisieren und die Niederlage der «Terroristen» näher zu bringen, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft, die er in Moldau nach dem Gipfeltreffen der neuen Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) aufzeichnete. Der Zeitpunkt sei nahe, an dem Russland für seine Morde zur Rechenschaft gezogen werde, sagte er.
Selenskyj hatte in Moldau mehrere Staats- und Regierungschefs getroffen, die der von Russland angegriffenen Ukraine weitere Hilfe zusicherten. «Wir bereiten neue Entscheidungen für die Verteidigung der Ukraine vor, darunter Flugabwehr, Kampfflugzeuge und unser Vorstoß auf dem Boden», sagte er. Selenskyj betonte auch, dass abgesehen von der militärischen Hilfe aus dem Ausland auch die Ukraine selbst mehr für die Sicherheit der Bürger tun müsse. Er bekräftigte Forderungen, dass eine ausreichende Zahl an Bunkern überall zugänglich sein müsse.
Die EU- und Nato-Staaten warnte Selenskyj gleichzeitig vor einer Hinhaltetaktik. «Denken Sie an die Enttäuschung unserer Soldaten, die für Freiheit kämpfen und an die Enttäuschung jener Nationen, für die unser Kampf in der Ukraine Hoffnung ist», sagte er. Wenn nicht einmal diejenigen eine klare positive Antwort auf den Wunsch zum Nato- und EU-Beitritt bekämen, die die Werte Europas mit Blut verteidigten, könne es für andere kaum mehr fassbare Hoffnung geben.
Baerbock will keinen ukrainischen Nato-Beitritt «mitten im Krieg»
Außenministerin Annalena Baerbock zeigte jedoch klare Grenzen in der Diskussion um den ukrainischen Wunsch nach einem schnellen Nato-Beitritt. Es gelte «die Politik der offenen Tür», sagte die Grünen-Politikerin bei einem Treffen der Nato-Außenminister in Oslo. Zugleich sei klar, «dass wir mitten in einem Krieg nicht über eine neuere Mitgliedschaft sprechen können». Präsident Selenskyj hatte die Bündnisstaaten aufgefordert, beim Gipfel im Juli den Weg zur Aufnahme der Ukraine ins Militärbündnis freizumachen.
Nato-Staaten diskutieren Format für engere Zusammenarbeit mit Ukraine
Von der Nato hieß es, es gebe Diskussionen darüber, die bestehende Nato-Ukraine-Kommission zu einem neuen Nato-Ukraine-Rat aufzuwerten. Das sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach einem informellen Treffen der Außenministerinnen und Außenminister in Oslo. Ein solches gemeinsames Beratungsforum wäre ein wichtiger Schritt, um mit der Ukraine auf Augenhöhe Schlüsselfragen der Sicherheit diskutieren zu können. Der Vorschlag für den neuen Nato-Ukraine-Rat gilt als eine Möglichkeit, der Ukraine beim Bündnisgipfel in Litauen im Juli entgegenzukommen.
Stoltenberg erwartet beim Nato-Gipfel zudem eine Einigung der Bündnispartner auf ein neues Unterstützungsprogramm für Kiew. Er gehe davon aus, dass ein langfristiger Plan vereinbart werde, sagte der Norweger. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus Bündniskreisen war zuletzt im Gespräch, das Programm auf zehn Jahre anzulegen und jährlich mit etwa 500 Millionen Euro auszustatten.
Russische Grenzregion klagt über erneuten Beschuss
In der westrussischen Region Belgorod an der Grenze zur Ukraine sind nach Angaben der Behörden mindestens fünf Menschen durch intensiven nächtlichen Beschuss verletzt worden. Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow berichtete, dass sich die Kleinstadt Schebekino unter «nicht endendem Feuer» der ukrainischen Streitkräfte befinde. Von ukrainischer Seite gab es dafür zunächst keine Bestätigung. Die Angaben aus dem Kriegsgebiet lassen sich von unabhängiger Seite kaum überprüfen. Das Moskauer Militär hat nach eigenen Angaben im Gebiet Belgorod Versuche eines Eindringens Bewaffneter auf russisches Territorium verhindert.
Ex-Präsident Dmitri Medwedew warf der Ukraine mit Blick auf Drohnenangriffe auf russischem Staatsgebiet unterdessen einmal mehr «Terror» vor. «Es ist klar, wie die Antwort ausfallen wird: Sie müssen vernichtet werden. (…) Es muss das gesamte Wespennest vernichtet werden, das Regime, das sich in der Ukraine ausgebreitet hat», sagte Medwedew in einem Video, das er selbst verbreitete und das ihn in Uniform vor russischen Soldaten zeigt.
Der 57-Jährige, der heute Vizechef des nationalen russischen Sicherheitsrats und glühender Kriegsbefürworter ist, fällt immer wieder mit besonders herablassenden und drohenden Aussagen über das Nachbarland auf.
Moskau will größere Mission in ukrainischem AKW zulassen
Russland hat sich unterdessen zu einer Erweiterung der Beobachtermission der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) im von russischen Truppen besetzten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja bereit erklärt. Der Chef der nationalen Atombehörde Rosatom, Alexej Lichatschow, versprach der Agentur Interfax zufolge, «alle Handlungen» des IAEA-Generaldirektors Rafael Grossi zu unterstützen. Dazu gehöre auch ein möglicher abermaliger Besuch.
Bislang 750 Verletzte aus Kriegsgebieten in Deutschland behandelt
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs hat Deutschland 750 Verletzte aus den Kriegsgebieten zur medizinischen Behandlung aufgenommen. In der Bundesrepublik seien damit innerhalb der EU die meisten Patienten behandelt worden, teilte das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit. «Wir stehen weiter eng an der Seite der Ukraine, die sich gegen den brutalen russischen Angriffskrieg verteidigen muss», sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Bayern schiebt zwei Männer nach Russland ab
Erstmals seit Kriegsbeginn in der Ukraine hat es wieder Abschiebungen aus Deutschland nach Russland gegeben. Zwei Männer im Alter von 22 und 56 Jahren seien auf dem Luftweg zurückgeführt worden, teilte das bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen der Deutschen Presse-Agentur mit. Dies sei Mitte Februar und Mitte März erfolgt.
Nach Raketenangriff: Kiew ermittelt zu verschlossenem Schutzkeller
Nach dem nächtlichen Beschuss eines Krankenhauses laufen in Kiew Ermittlungen zu einem offenbar verschlossenen Luftschutzkeller. Er habe das Präsidialamt gebeten, den Vorsteher des betroffenen Stadtteils für die Dauer der Untersuchungen freizustellen, schrieb Bürgermeister Klitschko auf Telegram. Der Mann einer getöteten Frau beklagte, dass die Menschen den Raketen ausgeliefert gewesen seien, weil sie vergeblich gegen die Türen des Kellers gehämmert hätten.