37-Jähriger nach Drogentod von 13-Jähriger in U-Haft

VonJudith Eichhorn

27. Juni 2023

Altentreptow (dpa) – Abgesehen vom Transporter eines Rundfunksenders weist am Dienstagnachmittag kaum etwas auf die Tragödie hin, die die Kooperative Gesamtschule am Rand der Kleinstadt Altentreptow im Osten Mecklenburg-Vorpommerns ereilt hat. Durch die Scheibe sind Schülerinnen und Schüler in einem Klassenzimmer zu sehen. Lehrerinnen fahren vom Hof. Ein Mann im Blaumann, der dahinter das Tor schließt, sagt nur: «Kein Kommentar.»

Der Tod einer 13 Jahre alten Mitschülerin aus der Kleinstadt hat die Kinder und Jugendlichen aus ihrem Schulalltag gerissen. Wie die Polizei mitteilte, starb das Mädchen am Montag mutmaßlich nach der Einnahme der Ecstasy-Pille «Blue Punisher», die besonders stark ist. Eine 14-Jährige liegt in Neubrandenburg auf der Intensivstation und befindet sich in kritischem Zustand, wie eine Sprecherin des Polizeipräsidiums Neubrandenburg am Dienstag sagte. Auch sie soll eine Ecstasy-Pille konsumiert haben.

Schülerinnen, Schüler und das Lehrpersonal hätten betroffen reagiert, sagte die zuständige Schulrätin Kirsten Reen. An einem Trauerort in der Schule hätten die Schüler unter anderem Blumen und Kuscheltiere niedergelegt und Kerzen aufgestellt.

Laut Polizei liegt auch eine 15-jährige Freundin des 13-jährigen Todesopfers im Krankenhaus und befinde sich auf dem Weg der Besserung. Ein viertes Mädchen aus Malchin habe «Blue Punisher» ebenfalls genommen – sie habe befragt werden können und die Einnahme bestätigt. Das Mädchen habe zeitweise an Übelkeit und Bauchschmerzen gelitten, sei aber wieder wohlauf.

Betäubungsmittel in nicht geringer Menge

Bereits am Montagabend nahm die Polizei nach eigenen Angaben vier Tatverdächtige im Alter von 16, 17, 17 und 37 Jahren fest. Gegen den 37-Jährigen erließ das Amtsgericht Neubrandenburg am Dienstagnachmittag Haftbefehl, wie ein Gerichtssprecher sagte. Der Mann soll demnach in zwei Fällen Betäubungsmittel an Minderjährige abgegeben haben. Außerdem soll er Betäubungsmittel in nicht geringer Menge besessen haben.

Die anderen drei Verdächtigen sind laut Polizei wieder auf freien Fuß gesetzt worden, gelten aber weiter als tatverdächtig. «Nach dem derzeitigen Kenntnisstand gehen die Ermittler davon aus, dass alle vier Tatverdächtigen im Zusammenhang mit dem Tod der 13-Jährigen und dem schlechten gesundheitlichen Zustand der 14- und 15-Jährigen stehen», erklärte eine Polizeisprecherin. Genaue Tatzusammenhänge sowie die Ermittlung möglicher weiterer Tatverdächtiger seien Gegenstand der laufenden Ermittlungen durch die Kriminalpolizeipolizeiinspektion Neubrandenburg.

«Wie kommen die an sowas ran?»

Wenig überrascht zeigt sich am Dienstag eine 19 Jahre alte Ex-Schülerin der KGS Altentreptow, die am Dienstagnachmittag auf dem Weg zum Sport in der angrenzenden Halle war. Schon zu ihrer Schulzeit sei mit Gras gedealt worden. «Die Polizei kam bestimmt auch alle zwei Wochen oder so.» Dass jetzt ein Mädchen gestorben sei, sei eine andere Qualität. «Wie kommen die an sowas ran?», fragt die Jugendliche. «Vor allem in dem Alter.» Schon zu ihrer Zeit habe es an der Schule Präventionsarbeit gegeben, etwa mit einem ehemaligen Drogenabhängigen. Bei einigen Jugendliche verfange das aber offenbar nicht.

Auf die 13-Jährige angesprochen verweist ein älterer Passant in der verträumten Innenstadt Altentreptows auf fehlende Freizeitangebote für Jugendliche. «Die sind sich ja total selbst überlassen.» Es gebe keine Jugendclubs mehr. Die letzte Disco sei vor etwa zwei Jahren abgerissen worden. Stattdessen lungerten die Jugendlichen jetzt etwa am Bahnhof oder an anderen Orten herum.

Miteinander bekannt waren nach bisherigen Erkenntnissen der Ermittler nur die 13- und die 15-Jährige, die gemeinsam die Schule in Altentreptow im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte besuchten. Dort kamen am Dienstag vier Präventionsbeamte der Polizei zum Einsatz. Die Kinder und Jugendlichen seien schockiert, sagte eine Sprecherin.

Obduktion soll die Todesursache klären

Am Wochenende war bereits im benachbarten Bundesland Brandenburg eine 15-Jährige gestorben – mutmaßlich ebenfalls infolge von Drogenkonsum, wie es von der Staatsanwaltschaft hieß. Eine Obduktion soll die Todesursache klären. Im Zuge der Ermittlungen haben die Ermittler nach eigenen Angaben auch einen möglichen Zusammenhang mit dem Tod der 13-Jährigen aus Altentreptow im Blick.

Die 13-Jährige war nach Polizeiangaben am Montag im Klinikum in Neubrandenburg gestorben. Am Abend des gleichen Tages fanden Polizeibeamte die 14-Jährige in Neubrandenburg auf einem Gehweg liegend.

«Drogen sind immer gefährlich», warnte der Schweriner Innenminister Christian Pegel (SPD). «Aktuell haben wir aber mehrere Fälle mit lebensbedrohlichem Verlauf feststellen müssen. Diese Ecstasy-Pillen sind ganz unmittelbar lebensgefährlich!»

Mit dem Sammelbegriff Ecstasy sind synthetische Drogen in Tabletten-, Pulver- oder in Kristallform gemeint, die ohne natürliche Rohstoffe im Labor hergestellt werden. Ecstasy führt zu Höhenflügen, Kontaktfreudigkeit und Verlust des Zeitgefühls. Das körpereigene Warnsystem wird ausgeschaltet. Beim Einsatz als Partydroge kann es bei langem Tanzen zu extremem Wasserverlust, Organschäden oder Kreislaufzusammenbruch kommen. Tödliches Nierenversagen wurde ebenso beobachtet wie tödliche Hirnblutungen. Die Droge kann zudem Psychosen und Wahnvorstellungen verursachen. 

Das Aussehen der Pille «Blue Punisher» (deutsch: «blauer Bestrafer») ähnelt einem Diamanten mit eingraviertem Totenkopf, der an das Logo des Marvel-Charakters «The Punisher» angelehnt ist. Es gibt sie auch in anderen Farben. Wegen ihrer hohen Wirkstoffkonzentration kann laut Experten schon eine halbe Pille zu einer Überdosis führen.

Mecklenburg-Vorpommerns Gesundheitsministerin Stefanie Drese (SPD) reagierte mit großer Bestürzung auf den Tod der 13-Jährigen. Sie appellierte eindringlich, die Finger von Drogen aller Art zu lassen. Vor allem für Heranwachsende sei die Einnahme extrem gefährlich und könne bleibende Schäden verursachen. Die Polizei vermutet, dass die Droge in der Region noch im Umlauf ist und warnte ebenfalls eindringlich.

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